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Vision Quest - Eine Initiation zum Vater-Sein

  • Autorenbild: Maël
    Maël
  • 15. Dez. 2021
  • 48 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 10. Nov. 2023


Vier Tage und vier Nächte fastend in der Wildnis verbringen – und dafür auch noch Geld zahlen? Völlig verrückt!? So mag es auf viele wirken. Ist es mit Sicherheit auch ein wenig. Allerdings jeden einzelnen Euro wert. Denn eine Vision Quest ist nicht bloß ein Ausharren, außerhalb der Komfortzone „Wohnzimmer“. Es ist vielmehr ein kraftvolles und naturverbundenes Ritual. Mit diesem Ritual sind einst nicht nur die nordamerikanischen Ureinwohner, sondern auch unsere europäischen Vorfahren den bewussten Schritt großer Lebensveränderungen gegangen. Vor allem den aus der Jugend heraus in das Erwachsen-sein hinein.

In der heutigen Zeit werden Vision Quests für viele Lebensthemen, ja gar zur Heilung von Traumata genutzt. Dafür reichen meist natürlich keine vier Tage des Alleinseins aus. Diese Phase ist in einer begleiteten Vision Quest bloß der Mittelpunkt. Für meinen persönlich Prozess waren die Tage vor und nach der Solozeit sogar wichtiger, als die Quest selbst. Was mit Sicherheit auch an der wertvollen Leitung des Vision Quest Teams des Crea Vista Campus' lag. Martin Fuchs, Andreas Föhr, sowie Shanti E. Petschel gaben sich der Gruppe gegenüber völlig herzensoffen und nah und hatten keine Scheu auch ihre eigenen Themen mitzuteilen. Dies lies uns in kürzester Zeit wie ein echter „Tribe“ fühlen. Trotz dieser (glücklicherweise) fehlenden Distanz zwischen Teilnehmern und Leitern, war ihre Führung und ihre unterstützende Kraft doch völlig kompetent und allgegenwärtig. Ihre liebevolle, bestärkende und weise Art half uns selbst tief und weise mit unseren Themen umzugehen. Mit Sicherheit war aber auch der Ort selbst an dem Erfolg unserer Prozessarbeit beteiligt. Die Alpe Mecchia, der Ort, an welchem der Crea Vista Campus seit ungefähr 30 Jahren Vision Quests durchführt, beheimatet viele kraftvolle Wesen. Am Rande der Lichtung stehen die sogenannten „Ureltern“, ein jahrhunderte, wenn nicht sogar tausendjähriges Lärchenpärchen, deren Wurzeln und Hauptstamm eng umschlungen eins wurden. Diese uralten Bäume, deren gewaltige Gestalt aus der Ferne eher an Eichen erinnert, sind der Mittelpunkt des Rituals. Sie sind die Schwelle; unter ihnen haben schon viele Menschen zuvor Klarheit, Kraft und Frieden gefunden, Doch auch die kleineren Wesen, wie beispielsweise die zutraulichen „Mohrenfalter“ oder auch „Waldteufel“ genannt, die eher wie kleine Engelchen oder Bergfeen wirken, können starke Prozessbegleiter sein. Einer der Teilnehmer erzählte von einem Erlebnis, welches er in einer Phase der Wut und des Schmerzes erfuhr; Erst fühlte er sich mit diesen Gefühlen ganz alleine und verlassen, doch plötzlich schien es ihm, als sehe die Natur direkt in sein Herz, als sei sie voll und ganz da mit ihm, ja für ihn. Tatsächlich vernahm er eine innere Stimme, welche ihm sagte: „Ich sehe dich!“ Er nannte sich selbst einen Narren, zu glauben die Natur sehe ihn und würde mit ihm sprechen. Doch just in diesem Moment setzte sich einer der braunen, flauschigen Falter auf seine Nase und stierte ihm direkt in die Augen. Wir sind nie alleine.

Ja selbst die zierlichen Alpenblumen können so manche Kraft in einem entfesseln. So berichtete ein anderer Teilnehmer davon, wie berührt er von der kraftvollen Zärtlichkeit einer blau-lila Glockenblume war. Dieses Blümchen war so klein und hübsch und strotze doch so vor Stärke, denn es verlor seine Schönheit keineswegs durch den Umstand, dass es in einer rauen und extremen Umgebung lebte. Er selbst wurde von dieser Blume so sehr berührt, dass er sich vornahm, seine eigene Zärtlichkeit, welche er als Junge nie zeigen durfte, nun umso kraftvoller strahlen zu lassen. Ja, und dann gibt es da natürlich noch die große Göttin, die über uns allen thronte; die Monte Rosa. Weiß und riesig strahlte der zweithöchste Berg Europas und beschenkte uns täglich mit ihrer majestätisch, urkräftigen Präsenz. Dieses Sein in und mit der wilden Natur half mir ganz und gar einzutauchen in meine eigene Natur und Wildnis. Was war es denn nun, was mich innerlich bewegte? Welchen Grund hatte ich diese Vision Quest zu machen? Meine Entscheidung die Vision Quest auf der Alpe Mecchia zu machen, lag zum einen an dem schönen Kontakt zu den Veranstaltern im voraus, sowie dem glücklichen Umstand, dass dieser Ort sich in kaum bewirtschafteten Gebiet in den Bergen befindet. Als in den Alpen geborenes Bergkind wollte ich mich meiner Wurzeln besinnen. Die Alpe erschien mir dabei perfekt. Auch aufgrund der wilden Vegetation, welche mich gefühlt näher an den Ort brachte, aus welchem wir einst als Menschheit erwachsen sind. Die simple Lebensweise, welche wir dort oben führten, bestehend aus Holz hacken, über dem Feuer kochen, Wasser vom Bach holen, unter dem sternenreichen Himmelszelt schlafen, ließ mich sehr nah an das Leben bringen, welches mir als „richtig“ erscheint. Es war immens entschleunigend und trotz mitunter heftigen Regenstürmen und Kälteeinbrüchen, eine Wohltat für die Seele. Mein Hauptanliegen jedoch, eine Vision Quest zu machen war für mich der Wunsch ein intensives Ritual zur Begleitung meines frischen Vater-seins zu haben. Die Männer-Vision Quest schien mir hierfür ideal. Auch wenn ich mich als Papa bereits sehr wohl fühlte, war es mir doch wichtig diesen Schritt in meine neue große Lebensphase nochmal bewusst zu gehen. Immerhin war ich zuvor gefühlt vogelfrei, ohne jegliche größere Verantwortung. Und jetzt bin ich plötzlich Papa und habe eine wichtige Rolle in meiner kleinen Familie. Zwei Prozesse gab es jedoch noch zu durchgehen, bevor ich die Vision Quest tatsächlich antrat. Zum einen fiel mir die Vorstellung schwer, für zwei Wochen von meiner Familie getrennt zu sein. Glücklicherweise konnten meine zwei Liebsten jedoch in dieser Zeit bei den (Groß-)Eltern sein. Zum anderen hatte ich eine große finanzielle Hürde. Nach Absprache mit Martin wagte ich den großen Schritt eines Crowdfundings. Mehr zu diesem wirklich spannenden Geld- und Wertprozess könnt ihr HIER lesen.



Blick auf die verschleierte Monte Rosa

Schlussendlich stand mir jedoch nichts mehr im Wege die Vision Quest anzutreten und so freute ich mich am 1. August in Macugnaga auf die Gruppe Männer zu stoßen, mit welchen ich die nächsten zwei spannenden Wochen verbringen sollte. Und diese sollten tatsächlich ereignisreich werden. Um ehrlich zu sein waren die ersten Tage auch etwas ernüchternd. Denn es regnete und regnete. Und wenn es nicht regnete, dann pfiff der eisige Westwind um uns herum. Doch auch wenn die rauen Wetterumstände bereits die einen oder anderen Prozesse mit sich brachten, hatten wir es doch sehr schön miteinander. Ab und zu riss auch mal die Wolkendecke auf, woraufhin gleißendes Licht das Tal erfüllte. Das war jedesmal ein wahres Wunder und für uns immer wieder ein Highlight. Manchmal wurde es in den kurzen Sonnenminuten sogar richtig warm, sodass wir mit nackten Oberkörpern im Gras lagen und das herrliche Bergpanorama genießen konnten. Abends saßen wir meist in der überdachten Ruine eines alten Rusticos, in dessen Mitte der Tee über dem Feuer brodelte und wir erzählten uns Geschichten oder sangen berührende Lieder. Ab und zu kam einer der Gartenschläfer, welche sonst die Hütte bewohnte und beäugte uns neugierig. Mit der Zeit waren wir ihnen so vertraut, dass sie keine Scham hatten, uns das Essen vom Teller zu stehlen, wenn wir diesen nur kurz zur Seite stellten. Statt die „Viecher“ zu verscheuchen und den Platz für uns mit dem Recht des Stärkeren zu beanspruchen, machten wir uns bewusst, dass wir eigentlich in ihren Lebensraum eindrangen. So freundeten wir uns vielmehr mit ihnen an. Und sie waren wirklich putzig. Und clever! Um unsere Essensvorräte zu schützen mussten wir uns immer raffiniertere Methoden einfallen lassen, denn einfach Deckel drauf reichte oft nicht aus. Selbst das Essen in Säcken an ein Seil zu hängen, bot kein Hindernis. Sie rannten einfach die Wand hoch, drückten sich ab und sprangen auf den Sack. Das alles taten sie mit solch einer Leichtigkeit, als wäre dies ihre alltägliche Weise an ihr Essen zu gelangen. Den Großteil unserer Vorräte konnten wir zum Glück erfolgreich sichern. Und das bisschen, was sie sich nahmen, das gönnten wir ihnen gerne. Ein wahres Festessen für unsere flauschigen, pinselschwänzigen Freunde. Vermutlich halfen wir ihnen mit unseren Gaben immens über den kommenden Winter zu kommen und ihre Population zu steigern. Trotz des meist feuchten und kalten Wetters waren wir des Tages sehr viel draußen unterwegs. Von Martin und Andreas wurden uns jeden Tag Naturaufgaben gestellt. Während dieser Aufgaben waren wir ausschließlich alleine mit einem persönlichen Thema unterwegs. In einer dieser Aufgaben sollten wir zu bereits später Stunde eine Weile durch den wilden Wald laufen und uns mit der Dunkelheit konfrontieren. Was wollte in uns sichtbar werden, wenn wir nicht mehr durch das Tageslicht geblendet sein würden? Die dichten Lärchen verbannten einen Großteil des wenigen Lichtes. Der Boden war bewachsen von stacheligen Wacholderbüschen. Vorsichtig bewegte ich mich, fast blind, zwischen den Stämmen hindurch, immer zuvor mit meinem Stock den Boden nach Spalten und Hindernissen absuchend. Nach und nach gewöhnten sich meine Augen auch an die dichte Dunkelheit des Waldes. Da drang überraschenderweise Wolfsgeheul an meine Ohren. Wow, Wölfe! Angst hatte ich keine. Ganz im Gegenteil; ich freute mich riesig! Ich wusste, dass Wölfe für Menschen ungefährlich sind. Außerdem waren sie wohl auf der anderen Seite des Tals und damit sicherlich einige Stunden von uns entfernt. Vermutlich versperrte ihnen der reissende Gletscherfluß den direkten Weg sogar vollends.

Da sah ich plötzlich ein weit aufgerissenes Maul vor mir aufragen. Aber es war kein Wolf. Das Maul war viel zu riesig. Es war selbst fast so groß wie ein Wolf. Denn es war ein großer Spalt eines hohlen Baumes. Sein Stamm ging gen Boden stark in die Breite, wodurch der Spalt wie ein breites, offenes Maul wirkte. Ich kannte diese Lärche bereits vom Tage, an welchem ich schon eine ganze Weile bei ihr verweilte und mich mit ihr anfreundete. Intuition schien mich wieder zu ihr geführt zu haben. Als ich mich ihr näherte kamen mir Schauermärchen ins Gedächtnis. Geschichten von teuflischen Bäumen, die ein Tor in die Unterwelt waren und jeden dorthin verschluckte, der sich ihnen zu sehr näherte. Ich musste grinsen, denn ich verstand, wie solche Gruseleien zu Aberglauben führen konnte. Als ich an die riesige Lärche heranschritt und ihn berührte, war mir, als raune sie mir zu: „Sei gewiss, ich bin eine Freundin!“ „Natürlich bist du meine Freundin, das weiß ich doch. Und ich bin auch dein Freund!“ Fast zärtlich schmiegte ich mich an sie und starrte in den Wald. Mittlerweile war mir die Nacht viel zu hell. Meine Augen hatten sich gut an die schwachen Lichtverhältnisse gewöhnt. Ich blickte in den den hohlen Stamm und sah nichts als Schwärze. Daraufhin glitt ich in das innere des Baumes und lehnte mich an seine Innenseite. Dunkelheit umgab mich. Ich war froh, bereits bei Tageslicht mich in ihn begeben zu haben. Wahrscheinlich wäre ich sonst bei weitem nicht so entspannt gewesen. Doch ich wusste, dass weder Schlangen im Stamm lebten, noch Spinnennetze ihn zierten. Ich fühlte mich sicher und geborgen. Wieder Wolfsgeheul. Ich war erstaunt darüber, dass ich wirklich keinerlei Unruhe empfand und war mir bewusst, dass es vielen anders ergehen würde. Dieses Sicherheitsgefühl in der Natur verdankte ich wohl dem Glück, dass sie in meinen ersten Lebensjahren mein Zuhause gewesen ist. Stattdessen machte mir die Menschenwelt viel mehr Angst. Ich dachte daran, dass ich immer wieder durch tiefes Dickicht spazierte, in welchem mitunter Wildschweine lebten, die, wenn ich überraschend auf sie stieß, meist mit lautem Gequieke das Weite suchten. Erschrocken habe ich mich einige male, ja, aber wirkliche Angst hatte ich nie verspürt. Dafür erinnerte ich mich an das Engegefühl, wenn ich darüber nachdachte, dass ein Jäger mich im dichten Laub aus Versehen mit Wild verwechseln und nach mir schießen würde. Meine Gedanken kreisten weiter; Ich dachte an unruhige Nächte des Vagabundenlebens, in denen ich im Busch, inmitten einer Stadt oder wenigstens am Rande einer Ortschaft, schlief. Die Horrorgeschichten von gewalttätigen Menschen flößten mir viel größeren Respekt ein, als die über wilde Tiere. Immer hatte ich mein Messer griffbereit. Schlussendlich aber habe ich auch in der Menschenwelt nie wirkliche Bedrohung erfahren. Ich bin wahrscheinlich für diese Gruselgeschichten nur viel offener. Mit dieser Erkenntnis ging ich zu meiner Schlafstätte und schlief zufrieden ein. Ja, die Natur galt uns als Raum für das, was sonst oft verborgen in uns liegt. Ein weiterer Raum, welcher eine zentrale Rolle für unsere Prozesse spielte, war eine große Jurte. In deren Innern lag in der Mitte ein Medizinrad. Was es genau damit auf sich hatte, will ich im folgenden Abschnitt beschreiben:


die Alpe Mecchia


Die Jurte in der sich das Medizinrad befand


Das Medizinrad

Das Medizinrad war ein essentielles Werkzeug unserer Prozessarbeit. Dieses lag in der Mitte der Jurte; 16 Steine bildeten einen Kreis, die vier Größeren waren den vier Himmelsrichtungen zugeordnet, dazwischen lagen jeweils drei Kleinere. Im Zentrum stand ein großer, pyramidenförmiger Quarz, die Spitze gen' Himmel gerichtet. Das Medizinrad symbolisiert den Weg des Lebens. Der Osten steht hierbei für den Beginn des Lebens, doch schließt sich hier auch der Kreis mit dem Tod. Vom Oststein wird sich durch die pränatale Phase gen Süden bewegt, wo mit der Geburt die Kindheit und das Heranwachsen anfängt. Im Westen befindet man sich schließlich in einer Achse zum Osten, also zum Lebensbeginn. Kein Zufall; denn der Westen symbolisiert den Schritt zum Erwachsensein und bestenfalls die bewusste Entscheidung Verantwortung zu übernehmen und für das zu gehen, weshalb man sich einst für dieses Leben entschieden hat. Schließlich erreicht man den hohen Norden. In dessen Richtung lag in unserem Medizinrad ein schneeweißer Quarzbrocken. Der Norden ist der Ort des Alters, der Weisheit. Das Leben neigt sich dem Ende zu, weshalb im Uhrzeigersinn nach der Lehre schließlich die Leere kommt und der Kreis sich im Osten zum Vergehen und zum Neubeginn wieder schließt.

Bei den Indianern Nordamerikas spielt das Medizinrad in deren Leben eine große Rolle, so hilft es ihnen bewusst durch die verschiedenen Phasen des Lebens zu gehen. Doch Überlieferungen und Fundstätte beweisen, dass auch in anderen Teilen der Welt so etwas wie das Medizinrad seine Verwendung fand. In der modernen Gesellschaft ist auffällig, dass ein bewusster Schritt ins Erwachsensein fehlt. Viele fühlen sich vom Süden, also von der Kindheit, vom leichten Sein, in den Norden gedrückt, wo sie bereits viel Verantwortung tragen sollen und Erwartungen erfüllen müssen. Dies führt dazu, dass ein Großteil der Menschen versuchen regelmäßig vom Norden in den Süden zu flüchten. Sei es durch Drogen, ausgiebigem Medienkonsum, übermäßiges Essen oder Ähnliches. Unsere Vision Quest Leiter redeten hier von der typischen Sucht-Flucht Achse.

Ich musste an meine Schulzeit denken, in welcher ich mich wie in einem Käfig gesteckt fühlte und durch ausgiebige Partys, Alkoholkonsum, Computerspiele und heftiger Musik mir die Illusion erschuf, für einen Moment den Gitterstäben entfliehen zu können.

Als ich nun, mit meinen fast 29 Jahren, bewusst durch dies Rad schritt, fühlte ich im Westen, mit einem deutlichen Schritt in den Norden, mein derzeitiges Sein. Während mein Sohn gerade den Osten verlassen hatte, befinde ich mich ihm fast gegenüber. Nicht nur ihn und sein bevorstehendes Leben, sondern auch meinen eigenen Lebensbeginn betrachtend, verstand ich, dass ich nun wirklich erwachsen sein möchte.

Aber was heißt das?

Erwachsen sein bedeutet für mich Verantwortung zu übernehmen. Und was ist erwachsener, als Verantwortung für ein neugeborenes Menschenkind und damit für eine junge Familie zu übernehmen? Freude stieg in mir auf, zu merken, dass diese Verantwortung keinesfalls schwer wirkte. So war ich es immerhin von vielen anderen Verantwortungen in meinem Leben gewohnt. Doch hier war das Gegenteil der Fall; Es fühlte sich leicht und natürlich an, mit dieser Verantwortung so bewusst konfrontiert zu sein. Nichts konnte rütteln an einem einfachen, klaren JA! Ein Ja zum Leben, ein Ja zu meinem Sohn, ein Ja zu seiner Mutter und meiner Liebsten, sowie ein Ja zu mir selbst. Kein Zwang war da, erwachsen sein zu müssen, sondern eine freie und bewusste Entscheidung erwachsen sein zu wollen. Schließlich verstand ich, dass ich vor fast 10 Jahren schon einmal hier stand. Das war nach meinem Abitur. Damals war es eine Weltreise, welche mir als Schwelle ins Erwachsensein diente. Auch damals fühlte ich mich sehr verbunden mit dem Ursprung meines Seins. Ich hatte damals den Eindruck den Tücken der Jugend nun den Rücken zu kehren und in das Einzutauchen, weshalb ich lebe. Es gab zwar keine klare Erleuchtung, was genau das ist, aber die Verbundenheit und Liebe die ich in der Natur und mit Menschen in mir selbst entdeckte, schenkte mir ein großes Vertrauen nun endlich voll und ganz auf meinem Pfad zu sein. Leider fehlte damals ein integrierendes Ritual. Vielleicht hätte es mir geholfen in den nächsten Jahren mehr zu mir selbst zu stehen. Denn zurück in Deutschland und im Arbeitsleben fühlte ich mich bald alleine mit meinen Erkenntnissen und die klare Sicht auf meinen Pfad verschwamm im Dunst der Zivilisation.

Wenn ich jedoch ins Vertrauen gehe, dann ist auch dieser individuelle Wegabschnitt ein wichtiger Teil allen Seins. Klar ist jedenfalls, dass nun, viele Jahre später, ein Ritual des bewussten Erwachsenseins mich mit jener Quelle verbindet, aus welcher ich auch auf dieser Reise schöpfen durfte. Irgendwie ähnlich und doch ganz anders. Erwähnenswert scheint mir noch, dass nicht nur meine eigenen Prozesse, sondern auch die der anderen Männer mich sehr berührten. Einige Geschichten halfen mir sogar, die jeweils eigenen angestoßenen Themen zu betrachten. Das Medizinrad half uns den Zeitpunkt des Entstehens eines Traumas, meist aus der Kindheit oder sogar noch vor der Geburt, bewusst zu sehen und bestenfalls zu transformieren. Erstaunlich viele der Männer hatten schlimme Erlebnisse mit ihren Vätern. Oder aber trugen schweres Gepäck mit sich herum, welches nicht von ihnen, sondern von den Eltern, oder gar den Großeltern, stammten. Meist war es aber auch hier wieder der Vater, dessen Themen auf seinen Sohn abfärbten und das Leben des nun bereits erwachsenen Mannes erschwerten. Mit mir schienen solche Geschichten erst einmal wenig zu tun zu haben, denn ich wuchs ohne einen Vater auf, der mir seine Themen mitgeben konnte (außer vielleicht das Thema fehlender Verantwortung, aber das scheine ich nicht übernommen zu haben). Doch die Offenheit und die Stärke der Männer, diese verstrickten Beziehungen anzugehen ließen mich zutiefst mitfühlen. Nicht nur einmal kamen mir selbst die Tränen, als ich den Schmerz, aber auch den Mut einiger Männer spürte. Irgendwann erkannte ich in diesen Tagen schließlich, dass ich zwar keinen leiblichen Mann als Vorbild hatte, jedoch das System, in welchem ich aufwuchs, hauptsächlich männlich geprägt war. Es wurde von Männern erschaffen, die selber ihr Kind-sein verloren hatten, keinen Zugang zu ihrer Weiblichkeit kannten und deren Männlichkeit von schädigenden Bildern, beispielsweise bestehend aus Dominanz, Kampf, Image, Macht und eiserner Stärke geprägt waren. Denn die Männer vor ihnen prügelten sie oder zwangen sie in diese oder in jene Richtung ihr Leben zu gehen. Oder aber sie waren aufgrund der Spuren der Gewalt, die wiederum ihre Vorfahren erlitten, unfähig Nähe und Liebe sichtbar leben zu können. Das System in welchem ich aufwuchs und dessen Gepäck ich auf den Schultern trage, wurde von Männern erschaffen, die nicht der Schönheit des Lebens nachgehen, geschweige denn die Schönheit ihres wahren Wesens leben. Sie folgen den Zwängen der Väter und der Systeme mit welchen sie aufwuchsen. Vermutlich hatten die wenigsten von ihnen eine Vorstellung davon, wie sich so etwas wie wirkliche Liebe anfühlt. In diesem Prozess spürte ich eine große Abneigung gegen das, was als männlich gilt. Dominanz, Macht, eiserne Stärke, Rationalität. Diese unfassbare Zerstörung, welche durch eine kranke Männlichkeit, ja durch psychopathische Dominanz die schöne Erde und seine Bewohner, einschließlich uns Menschen, ins Chaos stürzte, war mir nur allzu bewusst. Aber im Medizinrad, und den dazugehörigen Aufgaben draußen in der Wildnis, konnte ich damit ein weiteres mal in Kontakt kommen. Und meinen Konflikt damit haben. Ich erinnere mich, wie ich, mit diesem Thema behangen, durch den Nebel irrte. Schön war der Märchenwald. Ein seltener Anblick, so unangetastet schön. So sieht eine Frau aus, die kraftvoll sein darf und welche durch keine Männerhand gestutzt und zurechtgewiesen wurde. Ich fand ein farbenprächtiges, gesprenkeltes Blatt, welches jedoch zum Teil zerfetzt war. Das Blatt symbolisierte für mich die vergewaltigte Mutter Erde und so gab ich es in den Bach, mit einem Wunsch der Heilung. Ich verließ den Wald und kletterte die „Himmelsleiter“, einen riesigen Geröllhang, hinauf. Irgendwann blieb ich stehen. Ich stand auf einem Fels und spürte in meine riesige Wut. Eine Wut und Verzweiflung über diese falsche, zerstörerische Männlichkeit. Laut schrie ich in die graue Weite. Das erleichterte. Dann sank ich auf den Fels und kauerte mich zusammen. Wohl fühlte es sich an, die eigene Wärme zu spüren, während die kühle Feuchtigkeit mich umgab. Doch mit ihr umhüllte mich auch eine Traurigkeit. Bis mich plötzlich jemand breit angrinste; Ein Fels. Ein Fels? Wie soll denn bitte ein Fels grinsen können? Ganz einfach; Auf einem der Felsen wuchsen Flechten, welche ganz klar ein grinsendes Smiley bildeten. Im Vergleich zur Größe des grauen Gesellen, war das Gesicht sehr klein, was ihn umso ulkiger aussehen ließ. Ich musste ebenfalls grinsen. Das erinnerte mich an meine Liebste, denn mit ihr habe ich alltäglich viel zu grinsen und zu lachen. Ein schönes Geschenk. Als ich gerade aufstehen wollte, fiel mir ein kleiner Quarzstein ins Auge. Er war weiß und hatte eine zylindrische Form, die auf einer Seite zu einer gleichschenkligen Pyramide zusammenlief. Dieser Stein hatte irgendwie eine klare, ja fast rationale und doch so lebendige Ausstrahlung auf mich. Ich nahm ihn mit mir. Wieder am Bache angekommen, in welchem ich das farbenfrohe Blatt hineingegeben hatte, wurde mir meine Bedeutung für diesen Stein klar. Er symbolisiert die gesunde Männlichkeit. Diejenige, welche stark und rational, jedoch lebendig, kreativ und wunderschön ist. Ich übergab den Stein ebenfalls dem Wasser, auf dass auch die Männlichkeit heilen mit der Weiblichkeit in Liebe vereint sein konnten. Dieser Prozess und seine Erkenntnisse bekräftigten mich um so mehr meiner Liebsten ein sanfter und doch starker Liebender, sowie meinem Sohn ein liebevoller und unterstützender Vater zu sein. Aber mehr noch; für mich ist der Wunsch umso größer geworden, dass mein Sohn, und natürlich möglichst viele andere Menschenkinder, in einem System aufwachsen, welches aus Liebe zum Leben entstanden ist. Dies schließt selbstverständlich die Bildung mit ein. Soll eine Schule einen Menschen zu einem wirtschaftstreuen, braven, jedoch einzelkämpferischen Staatsbürger erziehen? Oder soll er liebevoll und achtsam in der Entfaltung seines vollen Potentials zu einem verantwortungsvollen Bewohner der Erdengemeinschaft (Tiere und Pflanzen mit eingeschlossen) begleitet werden?

Eine Freundin


Die Solozeit

Nach drei Tagen intensiver Arbeit mit dem Medizinrad war es schließlich so weit; wir gingen in unsere viertägige Solozeit. Früh trafen wir uns bei den Ureltern, den uralten Lärchen, unter deren Krone bereits hunderte Menschen zuvor initiiert wurden. Ein Schweigen umhüllte unsere Gruppe. Alle bestaunten den gewaltigen Berg Rosa, dessen Eis in den noch dunklen Morgen leuchtete. Über ihr stand ein hell strahlender Himmelskörper. Das Firmament war ungewohnt klar. Sollte es etwa endlich aufgehört haben zu regnen? Bald schon schimmerte fahl das erste Morgenlicht über den Kamm der Bergkette und die Monte schillerte wahrhaftig in einem rosa Glanz. Einfach nur wunderschön und irgendwie magisch! Dann begann die Schwellenzeremonie; die Stille wurde von Schlägen auf gespannter Tierhaut unterbrochen. In einem Halbkreis hatten sich die Trommler um den Baum gestellt. Wir Männer wurden mit einer Geste eingeladen, einer nach dem anderen über die Schwelle zu schreiten und für die kommenden vier Tage alleine in die Wildnis zu gehen. Ich war als Zweiter dran; ich schloss die Augen. Der Geruch von Beifuß stieg mir in die Nase. Andreas räucherte mich mit guten Wünschen des Schutzes und der Klarheit. Mir wurde ein roter Stoff ans Handgelenk gebunden; Das traditionelle Zeichen eines Visionssuchenden. Dazu ein schwarzes Mal aus Kohle auf meiner rechten Handfläche. Dann trat ich vor, erst den einen, dann den anderen Fuß über die Schwelle. Ich war ganz präsent. Eine lebendige Kraft durchströmte mich. Es lässt sich kaum beschreiben, wie kraftvoll dieser Zeremonieablauf tatsächlich auf mich wirkte. Ich fühlte mich wie ein junger Krieger, welcher die Götter auf seiner Seite wissend, siegesgewiss in die Ungewissheit einer wichtigen Mission zieht. Abseits der Lärchen schulterte ich meinen Rucksack und peilte die Richtung meines ausgewählten Platzes an. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich dort ankam, denn der Weg war tückisch; Ein Großteil bestand aus Geröll, teilweise großen Felsbrocken, zwischen denen sich tiefe, immer wieder unter Gras versteckte Spalten lagen. Überall lauerten lose Steine, die mich anhielten jeden Schritt mit Vorsicht zu gehen. Im letzten Abschnitt musste ich einen steilen Hang hoch, der von stacheligen Wachholderbüschen und nassen, rutschigen Grasbüschel bewachsen war. Daraufhin galt es noch eine kurze Strecke Geröll zu überwinden. Doch die Sonne hatte den Horizont noch nicht überstiegen, da erreichte ich endlich den großen Felsen, welcher für die nächsten Nächte mein geschütztes Heim sein sollte. Mein Lager einzurichten hatte nicht lange gedauert, denn ich brauchte nicht einmal ein Tarp (Kunststoffplane) aufzuspannen. Unter dem Felsen befand sich nämlich ein großer Spalt, in welchem ich lediglich ein paar große, flache Steine umschichten musste, um eine einigermaßen ebene Liegefläche zu schaffen. Ich hatte also eine richtige kleine Höhle. Da wir die Tage zuvor bereits die hiesigen Wetterlaunen beobachtet und erklärt hatten, wusste ich, dass ich vor dem grausig heftigen Westwind, welchen wir nun bereits sehr gut kannten, unter dem Felsen wohl geschützt sein würde. Die Öffnung zeigte nach Süden. Von dort aus kam zwar der meiste Regen, jedoch seltenst durch starke Windböen begleitet. Ich vertraute darauf, dass das die kommenden Tage auch so bleiben würde, malte mir dennoch aus, wie ich mich im schlimmsten Fall ganz tief hinten in das enge, jedoch höher gelegene Ende der Spalte quetschen würde. Schließlich setzte ich mich auf den Felsen, welcher eine große Plattform bildete, um den Sonnenaufgang zu erwarten.

Eine herrliche Aussicht hatte ich von hier oben. Mir gegenüber lag eine wunderschöne Bergkette, einschließlich der Monte Rosa, mittlerweile bereits in helles Tageslicht gebettet. Meine Seite lag zwar noch in langen Schatten, aber es sollte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis auch ich die Wärme der Sonnenstrahlen genießen durfte. Ich dankte den Wettergöttern dafür, uns endlich mit einem stabil wirkenden Wetter zu beschenken. Kein Wind wehte, nur wenige Wolken hingen fast bewegungslos an den Bergspitzen. Kühl war es allerdings immer noch. Nach einiger Zeit des Wartens stellte ich fest, dass es noch eine ganze Weile dauern würde, bis die Sonnenstrahlen mich erreichten. Also beschloss ich Feuerholz vorzubereiten. Die Bewegung sollte mich wieder ein wenig aufwärmen. Nachdem ich trockene Äste zwischen den Felsen gesammelt, zersägt, gespalten und den Größen nach sortiert in kleinere Spalten meines Felsenhauses steckte, setzte ich mich wieder auf die Plattform und wartete erneut. Und wartete und wartete. Die Zeit verging ungewohnt langsam. Und gewohnterweise suchte ich mir irgendwelche Beschäftigungen. Ums Feuer hatte ich mich bereits gekümmert, also war als nächstes das Wasser dran. Ich nahm meinen 10l Sack und meine Trinkflasche und ging zum nahe gelegenen Bach. Herrlich war's hier! Fröhlich plätscherte das Bächlein zwischen saftigen Gräsern, doch gewaltig rauschte es im Wasserfall die Felsen hinab. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich eine saftig grüne Wiese mit hübschen, leuchtenden Blumen. Die Idylle pur! Nachdem ich meine Behälter gefüllt hatte, setzte ich mich zu einer kleinen, vom Wind wild geformten Lärche oberhalb des Wasserfalls und wartete erneut. Doch dieses mal konnte ich mich gut dem Warten ergeben. Mal mit geschlossenen, mal mit hellwachen Augen lauschte ich dem stetigen Rauschen des Bergwassers und versank in Meditation. Friede, so schien es mir, war hier oben noch allgegenwärtig. Alles Sein in einer harmonischen Schönheit. Und die Zeit war, jenseits abstrakter Konstrukte, bloß durch die langsame, kaum wahrnehmbare Ausdehnung des Sonnenlichtes wahrnehmbar. Deutlich erfuhr ich, dass sie nicht aus digitalen Zahlen, oder getakteten Sekunden-, Minuten oder Stundenzeigern, sondern aus einer immerwährenden Drehung des Universums bestand. Die Wahrnehmung dessen Geschwindigkeit hängt nicht nur vom individuellen Standpunkt, sondern auch von der jeweiligen Tätigkeit, bzw. aus dem daraus resultierenden Zustand, ab. Für einen Mann, der zur gleichen Zeit unten im Tal hastig seinen Kaffe ausschlürfte und sein schnell belegtes Toast hinunterschlang, während er die Termine der nächsten Tage, sowie das Geburtstagsfest seines Schwiegervaters, die Bestellung bei Amazon und auch noch die neusten Nachrichten aus aller Welt mit seinem Smartphone empfing und bearbeitete, für den verflog die Zeit in einem immensen Tempo. Nach einem Blick auf die Zahlen auf dem Bildschirm stellte er schockiert fest, dass er zu dieser Zeit bereits woanders sein sollte, woraufhin er hastig zur Tür hinaus rannte, in sein Auto sprang und noch in einem Telefonat verwickelt davonraste, um die verpasste Zeit einzuholen. Im selben Augenblick kroch der Schein der Sonne gaaaaanz langsam, kaum merklich auf mich zu. Wie zäher goldener Schleim einer riesigen Feuerschnecke, welche die gegenüberliegende Talseite hinab und auf meiner Seite wieder emporstieg. Und schließlich erreichte sie mich; Hell und wunderbar. Mit Freude empfing ich das wärmende Licht. Bald schon entledigte ich mich nach und nach den dicken Schichten Klamotten und streckte mich räkelnd aus. Endlich kein kühler Dauernebel mehr, endlich kein pfeifender Wind und keine nassen Knochen. Schließlich begab ich mich wieder an den Bach. In einer Mulde konnte ich mich fast komplett hinein legen. Wie nah kann man dem Paradies sein? Wenn man den Mund bloß öffnen muss und einem vitaler, reiner Felsentrunk in den Rachen fließt, sind wir dann nicht mittendrin?! Eine Weile legte ich mich neben den Bach. Nackt auf den Fels. Dem Wasser lauschend. Schmetterlinge setzten sich sanft auf meinen trocknenden Körper. In ihren dunklen Flügeln lag versteckt ein regenbogenfarbenes Schillern welches mich nur staunen und faszinieren ließ. Nach einer Weile begann ich zu schwitzen. Während ich in den vergangenen Tagen heilfroh um jeden warmen Sonnenstrahl war, so war mir jetzt die volle Ladung zu viel. Als ich aufstand war ich viel schwächer auf den Beinen, als noch am Morgen. Mit meinem Stab in der Hand trottete ich wieder zum Baum. Fast schon erschöpft legte ich mich in den Schatten und verbrachte dort einige, unzählbare Stunden. Wartend. Ameisen beobachtend. Wie wohl so eine Welt aus der Ameisenperspektive aussieht?

Die kleinen Nadelbüschel der Lärche, um welche die kleinen Krabbler emsig umherhuschten, mussten ihnen wie riesige Palmen vorkommen. Nur, dass diese statt aus der Erde sprießend vertikal gen Himmel reichten, wuchsen diese nun ringsherum um den langen dünnen Zweig in alle erdenklichen Richtungen. Was für eine skurrile Welt. Irgendwann stand die Sonne hoch über den gewaltigen Gipfeln der Monte Rosa. Während den letzten Tagen deutete dieser Sonnenstand auf den baldigen Abend hin. Also begab ich mich zurück zu meinem Unterschlupf. Der Rückweg dauerte bedeutend länger. Vielleicht war es das Fasten alleine, möglicherweise aber auch die mir zusetzende Hitze, welche mich immer wieder schwindeln und stehen bleiben ließ. Behutsam setzte ich einen Schritt nach dem anderen. Schließlich legte ich mich erschöpft in den kühlen Schatten meiner Höhle. Und wartete. Der Tag war noch lange nicht vorbei. Im Gegensatz zu den vergangenen Tagen hatte ich jetzt nur einfach nichts zu tun. Keine Aufgabe der Questleiter, kein Holz zu hacken, keine Tarpkonstruktion auszubessern, kein Kochen, kein Abendessen. Tatsächlich spürte ich einen leichten Hunger, doch ließ er sich noch gut ertragen. Als die Sonne schließlich doch hinter den Bergen im Westen verschwinden wollte, begab ich mich noch einmal auf die Felsenplattform über meiner Schlafkoje. Ich dankte den Wolken für die Sonnenreichen Stunden und ich dankte der Schönheit die mich umgab. Ich dankte dem Felsen für einen trockenen, sowie schattenreichen Unterschlupf und bat die Tiere und andere Wesen, welche ebenfalls diesen Felsen bewohnten, mich als einen freundlichen Gast und als ihren Freund zu betrachten. Dann, als die Sonne verschwunden war und die ersten Sterne zu leuchten begannen, sang ich zum Abschied des Tages ein Lied, welches uns Andreas und Martin aus der Schweiz mitgebracht hatten: Uf Stei und uf Ärde da gahn ich so gärn, Am Tag gseh ich d'Sunne und z'Nacht alli Stärn Ich schwümme mit de Wälle und tanze mitem Wind Zwüsche Himmel und Ärde es frohs Mänschächind. Ich schwümme mit de Wälle und tanze mitem Wind Zwüsche Himmel und Ärde es freys Mänschächind. Mitten in der Nacht wachte ich auf. Mir war schlecht. Und unbequem war es auch. Die Höhlenwand unter mir war steinig und uneben und die über mir schien mich fast erdrücken zu wollen. Eng und stickig kam mir mein Unterschlupf jetzt vor. Mir war viel zu warm! Also schälte ich mich aus dem Schlafsack und hockte mich unweit der Felsspalte auf den Boden, denn ich dachte mich übergeben zu müssen. Doch die kühle Luft der Nacht streichelte meinen nackten Körper und ließ mich schnell besser fühlen. Daraufhin packte ich Schlafsack und Isomatte, kletterte auf die Plattform und kuschelte mich dort in den Schlafsack.

Dann schlief ich wieder ein. Doch es dauerte nicht lange, da packte mich eine erneute Hitzewelle. Ich wachte mit einem Brechreiz auf. Schnell schlüpfte ich aus dem Schlafsack und setzte mich an den Rand des Felsens. Wasser schoss mir aus dem Mund und aus der Nase. Zwei, dreimal. Schlagartig fühlte ich mich leichter. Ja regelrecht kraftvoll. Als hätte ich die letzten Gifte aus meinem Körper gespuckt. Ich wusch mir das Gesicht und trank einige Schlucke Wasser. Ich legte mich wieder in den Schlafsack, doch schloss ich ihn nur halb, denn mir war immer noch unglaublich warm. Halbnackt lag ich in der Stille der Alpennacht und blickte zum Himmel hinauf. Wunderschön und unendlich weit leuchtete der Sternenhimmel über mir. Prachtvoll glänzten die Gletscher der Rosa silbern in der Nacht. Am Morgen umgab mich dichter Nebel. Eine Weile lag ich da und beobachtete die grauen Schwaden, welche vom Tal zu mir hinauf und an mir vorbei schwebten. Unter mir lag ein Lärchenhain. Immer wieder verschwand er gänzlich im hellen Grau. Dann tauchten zwei, drei grüne Wipfel aus dem Wolkenmeer, bis schließlich das dunkle grün des Waldes wieder vollständig sichtbar war. Auch die Berge waren hier und dort bald wieder auszumachen. Der zweite Tag hatte also begonnen. Hunger hatte ich noch keinen. Tatsächlich fühlte ich mich fit und ausgeschlafen. Daher beschloss ich mich sogleich zum „Postkasten“ aufzumachen. Der Postkasten war ein von mir angelegter Steinkreis, etwa zweihundert Meter von meinem Platz entfernt, in welchem ich jeden Tag ein Steinmännchen bauen sollte, um den Questleitern zu versichern, dass bei mir noch alles gut sei. Dort angekommen, begann es leicht zu nieseln. Ein Regenschauer war nicht ausgeschlossen, daher beeilte ich mich wieder zurück zu kommen. Der Regen machte den steilen Hang natürlich noch rutschiger. Während der Hinweg mir noch sehr leicht fiel, spürte ich nun die schwindende Kraft. Doch schaffte ich es gerade noch rechtzeitig zur Höhle. Gerade als ich mich in die schützende Spalte in meinen Schlafsack legte, wurde der Regen und auch der Wind stärker. Ich freute mich darüber, auch ohne Zelt oder Tarp ein trockenes geschütztes Plätzchen zu haben. Ganz simpel, geborgen im Schoß Mutter Erdes. Wie schön, dachte ich mir, dass die Natur im Grunde für alle Bedürfnisse sorge trägt. Müde von der letzten Nacht und den Anstrengungen des Morgens schlief ich wieder ein. Doch bald erwachte ich wieder, denn mein Schlafplatz war zwar trocken, jedoch keineswegs gemütlich. Die Liegefläche, welche ich provisorisch aus größeren Steinen erbaute war zu kurz, sodass ich halb aufrecht am Felsen lehnen musste. Da der Regen mittlerweile vorbei war, beschloss ich noch einmal meine Kräfte zu sammeln und mir für die nächsten Nächte ein komfortables Bett zu schaffen. Mithilfe von zwei großen, hochkant aufgestellten Steinen, welche als Stütze dienten, sowie einem relativ flachen Felsbrocken, gelang es mir meine Liegefläche so zu erweitern, dass ich mich auf ihr tatsächlich komplett ausstrecken konnte. Ich war erstaunt, dass ich trotz wahrnehmbarer Körperschwäche diese großen, schweren Steine bewegen und sogar anheben konnte. Doch ich tat dies ganz behutsam und langsam, jede Möglichkeit nutzend mittels Hebelwirkungen meinen Energiehaushalt zu schonen. Auf diese Weise manövrierte ich noch ein paar weitere Steinbrocken zu meiner Koje. Diese sollten mich, im Falle von zu viel Bewegung im Schlaf, vor dem Fall schützen. Daher positionierte ich sie an den Rand der Liegefläche, wo ich sie mithilfe von Steintürmen und eingekeilten Stöcken abstützte. Erst zweifelte ich daran, ob diese Konstruktion halten würde. Besonders hübsch war sie nicht. Doch nach einigen vorsichtigen Versuchen konnte ich beruhigt mein Werk als sicher betrachten. Kleinere flache Steine überbrückten die Lücken zwischen den Liegesteinen, sodass mein Bett sogar einigermaßen komfortabel war, auch wenn die Möglichkeiten meiner Schlafpositionen eingeschränkt waren. Aufgrund meiner geschwundenen Kräfte durfte das frisch erschaffene Werk sogleich erprobt werden: ich schlief wieder ein. Den Rest des Tages verbrachte ich in etwa folgendermaßen: warten, Natur beobachten, hunger haben, warten, warten, Natur beobachten, warten, hunger haben, warten. Manchmal auch alles gleichzeitig. Ich genoss dies allerdings sehr. Wann und wo hat man denn sonst die Möglichkeit einfach mal zu sein? Nun ja, eigentlich jederzeit und überall. Nur fällt es mir in der Stille der Natur, abseits eines beschäftigten Treibens erheblich leichter. Nur der Hunger störte meine innere Idylle. Aber das war bloß Kopfsache. Im wahrsten Sinne des Wortes. Denn mein Kopf erschuf Bilder von fettiger Pizza und anderen deftigen Mahlzeiten. Ja sogar die knusprige, glänzende Haut eines gebratenen Hühnchens erschien mir. Etwas, das ich seit sicherlich 15 Jahren nicht mehr gegessen habe, geschweige denn Lust darauf gehabt hätte. Auch ein gebratenes Wildschwein ließ mir immer wieder das Wasser im Mund zusammen laufen. Und das mir, der ich doch ein fast veganer Vegetarier bin. Doch irgendetwas in mir schien nach Energie und Fetten zu verlangen. Und was bietet sich in der Wildnis dafür besseres an als Fleisch? Keines dieser Bilder konnte mich jedoch verführen mir einen Spieß zu schnitzen und auf Jagd zu gehen. Das hätte selbstverständlich auch einen viel zu großen Verlust meines Energiehaushaltes bei gleichzeitig mangelndem Erfolg bedeutet. Stattdessen begnügte ich mich mit der Vorstellung in ein paar Tagen mit meiner Liebsten in einer schicken Pizzeria zu sitzen.

Wie anders muss es sein, wenn man nicht weiß, wann und was und überhaupt ob man etwas zu essen bekommt. Und vor allem, wenn man den Verzicht Nahrung zu sich zu nehmen, nicht freiwillig eingeht. Ich konnte mir gut ausmalen, wie nervenzehrend solch ein Zustand sein kann. In meinem jetzigen Seinszustand hatte ich es dagegen sehr leicht; Einfach zurücklehnen und abwarten. Ein bisschen hunger ja, aber keine Angst vor dem verhungern! In dem Wissen, dass der Verzicht nicht mehr als weitere drei Tage andauern würde, konnte ich mich entspannt auf meine Körperempfindungen einlassen; Ganz sanft strömte Luft in meinen Atemzügen durch mich hindurch, ließ meinen leeren Magen, in welchem es leicht grummelte, auf und ab senken. Mit ruhigen Schlägen trommelte mein Herz das Blut durch die Adern, pochte an Schläfen und Handgelenken. Ein Vögelchen schaute für einen blitzartigen Moment in meine Höhle – und war im nächsten Augenblick auch schon wieder verschwunden. Dafür besuchte mich eine behäbige Hummel, sowie hin und wieder einer der neugierigen Falter. Ansonsten war ich, abgesehen natürlich von der steten Präsenz der Spinnen an der Felsendecke, alleine. Diesen Zustand genoss ich sehr. Denn in den vergangenen Monaten ist er doch zu einer großen Rarität geworden. Als freier, sogenannter „nicht erwerbstätiger“ Vater habe ich das komplette Programm von ständiger Bereitschaft für unseren neugeborenen Sohn mitbekommen. Zum Glück, möchte ich behaupten. Anders hätte ich es mir nicht gewünscht. Doch jetzt, hier oben auf fast 2000m Höhe, umgeben von nacktem Fels, durfte ich einfach mal wieder sein. Keine Aufgabe, keine Verpflichtung. Vorerst konnte ich mich dem Genuss dieses Zustands vollkommen hingeben. So wartete ich den Tag ab und schlief irgendwann in die lange Nacht hinein. Bis zum matten Morgenlicht des dritten Tages. Wieder bestaunte ich die absolute Schönheit der wilden Berge, welche mich umgab. Wie heil hier oben alles wirkte. Wie kommen die Menschen darauf etwas anderes zu wollen, als sich, als Teil der Naturgemeinschaft, in dieses Gefüge einzugliedern? Der Morgen war noch jung, weshalb es eine Weile dauern würde bis die Sonne meinen Felsen erwärmte. Da ich mich gut bei Kräften fühlte beschloss ich gleich zum Postkasten aufzubrechen. Behutsam folgte ich dem Pfad, welchen bereits jetzt mein Unterbewusstsein als Stammweg auserkoren hatte. Während ich gestern noch Mühe hatte den gescheitesten Weg den Hang hinab und durch die Felsen, Wurzeln und Löcher hindurch zu finden, wusste ich jetzt schon genau, wo ich am besten auf welchen Stein oder welchen Wurzelstrang aufsetzte und an welchen Ästen ich mich festzuhalten hatte. Dass ich stetig barfuß unterwegs war, half vermutlich, schnell zu lernen. Denn fast fühlte es sich so an, als würden die Füße selbst erspüren, wo ich langzugehen hatte. Immer selbstsicherer und von der Kälte der nassen Gräser getrieben. erhöhte ich bald doch meine Geschwindigkeit, wodurch ich vermutlich die Hälfte der Zeit für den Weg brauchte, als am Tag zuvor. Am Steinkreis angekommen erkannte ich, dass ich es übertrieben hatte. Mir war schwindelig und mein Körper sackte in sich zusammen, als ich mich hinsetzte. So wartete ich eine Weile.

Schließlich raffte ich mich auf, die Steine für das nächste Steinmännchen zu sammeln. Dies fiel mir immer noch schwer. Fast bewegte ich mich in Zeitlupe. Nachdem das Männchen stand, verweilte ich noch ein wenig, doch die Kälte ließ mich bald schon wieder den Rückweg antreten. Dieser dauerte nun um so länger. Ganz ganz langsam bewegte ich mich den Hang hinauf. Mein treuer Wanderstab diente mir als stabile Stütze. Als ich entkräftet an meiner Höhle ankam, legte ich mich wieder hin und pausierte. Es überraschte mich, dass ich mich so schwach fühlte. Eine ganze Weile lag ich einfach dort und starrte in den Wald hinab. Nebelwellen schwebten den Berg hinauf, verschluckten die Bäume, und ließen sie wieder frei. Dann durchflutete gleißendes Licht die grauen Schwaden, welche emporstiegen und unsichtbar, als mikroskopische Tröpfchen, in den Himmel schwebten. Etwas in mir wollte hinaus aus der Höhle, die Sonne begrüßen. Doch ich blieb noch eine ganze Weile liegen. Meine Gedanken kreisten um verschiedene Objekte aus der unbekannten Weite meines Geistes. Das Thema Verantwortung tauchte wieder auf. Die Verantwortung, welche ich für meinen Sohn trage. Wieder spürte ich Freude in mir aufsteigen. Dann holte ich mein Notizbuch heraus und schrieb auf, was ich alles meinem Sohn für sein Leben mitgeben möchte und was ich ihm wünsche. Bei der Frage, was für eine Welt ich ihm wünsche, stieg Traurigkeit auf. Traurigkeit darüber, dass die großen Kulturen unserer Zeit so fern davon zu sein scheinen, wahrhaft glückliche Gesellschaften zu bilden. Auch eine lähmende Unsicherheit stieg in mir empor. Denn was für eine Welt wird Elouan erwarten, wenn die Zerstörung der Natur so weiter geht? Etwas in mir will kämpfen. Aber wie und gegen wen oder was genau? Diese Gedanken waren nicht neu für mich. Oft schon sah ich mich konfrontiert mit der Trauer und Wut gegenüber der Vergewaltigung unserer Mutter Natur und der abnormalen Tendenz des Menschen sich immer weiter von ihr und seinem eigenen wahrhaftigen Kern zu entfernen. Oft war ich ganz gelähmt, da ich das positive Resultat eines verwirrten Kampfes als aussichtslos betrachtete. Während diese Gedanken noch vor einigen Jahren eine immense Macht über mich ausübten und mich in ein schwarzes Loch zu saugen schienen, blieb ich dieses mal überraschend ruhig. Das war schön zu spüren. Sie waren mir nicht fremd und im Grunde waren es bloß schwarze Gedanken. Ich wusste keine Antworten auf meine Fragen. Ich dachte einfach ruhig über sie nach. Schließlich verblassten sie wieder überraschend schnell.

Stattdessen lockte mich nun doch wieder die Welt außerhalb der Höhle. Also trat ich ans Licht und blickte wieder einmal zur schönen Monte Rosa hinauf. Gemütlich hingen an ihren Gipfeln einzelne Wolkenfetzen und hielten Siesta. Zu recht, denn die Sonne brannte gnadenlos herab. Meinen Felsen erklimmend spürte ich wieder die Schwäche meines Körpers. Ich kraxelte noch ein paar Meter weiter und setzte mich hinter einen Felsen in den Schatten. Die breite Hutkrempe tief ins Gesicht gezogen wartete ich dort mal wieder eine ganze Weile. Fasziniert betrachtete ich die Strukturen der Gesteine und die riesigen neongelben Flechtenmuster, welche sich über diese erstreckten. Unscheinbare, jedoch jahrtausende alte Pflanzen. Welche Geschichten sie mir erzählen könnten, wenn ich nur ihre Sprache verstehen würde... Irgendwann war mein Wasserflasche alle. Doch das Wasser in meinem 20 Liter Sack schmeckte nach Plastik. Büäh! Also setzte ich meinen großen Sonnenhut auf und begab mich auf die ewig lange, obwohl gerade einmal ca. 300 Meter lange, Strecke zum Bach. Schritt für Schritt. Wieder fühlte ich mich erstaunlich schwach. Jeder Meter wurde bald zu einem Erfolg. Auf halber Strecke machte ich im Schatten einer abgeknickten Lärche Pause. Als ich mir den uralten Stamm genauer ansah, fiel mein Blick auf etwas braunrot Leuchtendes. Harz! Vorsichtig pflückte ich etwas davon ab und steckte es ein. Lärchenharz ist ein sehr kraftvolles Heilmittel gegen Erkältung und dient zusätzlich zur Wunddesinfizierung. Ich nahm mir vor im Winter, wenn die Zeit gekommen ist das stetige Treiben und Reisen einzustellen und sich an einem Ort einzukuscheln, aus dem Harz eine Salbe herzustellen. Wieder staunte ich darüber, dass mein Unterbewusstsein genau wusste, wo ich hinzutreten habe. Um den Hang hoch zu gelangen war es jene Wurzel, um diesen Spalt sicher überqueren zu können war es diese. Um durch ein Gestrüpp zu kommen, musste ich etwas nach rechts, damit ich einen undeutlichen Tierpfad nutzen konnte. Dann den Hang wieder herunter, aber vorsichtig; der Stein dort war locker, lieber etwas weiter links und mit dem Stock vorsichtig vortasten. Herrlich war es, sich durch diese wilde Landschaft zu schlängeln. Kein langweiliges geradeaus über eine tote Straße. Allein das Vorwärtskommen war hier ein Sich-verbinden mit den Pflanzen, mit den Steinen, den Tieren, der fruchtbaren Erde unter meinen nackten Füßen und schlussendlich mit mir selbst. Schließlich kam ich am Bach an. Erstmal wieder Pause machen. Ich setzte mich an das Ufer, in den Schatten eines Felsvorsprungs. Fröhlich sang der Bach seine unendlichen, uralten und doch so jungen Lieder. Ich sank eine Weile in seine liebliche, plätschernde, gluckernde Stimme und in seine schillernden Strudel. Verspielt flatterten die Falter vor mir auf und ab. Irgendwann setzte sich einer auf meinen großen Zeh. Ein anderer auf meinen Bauch. Ein weiterer auf mein Handgelenk. Fasziniert sah ich zu, wie sie ihre Rüssel auf meiner Haut entlangzogen. Ich schien ihnen zu schmecken. Oder beschenkten sie mich etwa mit ganz kleinen, sanften Schmetterlingsküssen? In diesem Moment konnte ich nicht verstehen, wie Menschen sich in der Wildnis einsam fühlen können. Ich genoss die Nähe meiner lieben Freunde. Ganz ohne Worte verstanden wir, dass wir uns einfach nur gern hatten. Langsam führte ich meinen Arm näher an mein Gesicht. Der auf meiner Hand sitzende Falter starrte mit seinen großen, glubschigen Augen zurück. Es schien mir, als würde ich in die undurchschaubare Tiefen eines Ozeans sehen. Oder, als blicke ich in die ungreifbare Weite eines Sternennebels. In seinen zusammengeklappten Flügeln schillerten versteckte Regenbögen. Ein flaumiger, brauner Pelz bedeckte seinen Körper. Wäre diese Schönheit nicht so klein, hätte ich mich gerne an sie gekuschelt. Nach einiger zeitlosen Zeit verabschiedete ich meine neuen Freunde. Ich folgte meiner Mission: Wasser holen! Mehrere male spülte ich den 20 Liter Sack aus, um sicher zu gehen, dass ich nicht wieder den Geschmack von Kunststoff im Mund haben werde. Schließlich füllte ich ihn, sowie meine Flasche, komplett auf. Durch die sengende Hitze trat ich meinen langen, von Pausen durchzogenen Rückweg an. Immerhin war es egal, wie lange ich dafür brauchen würde. Zeit gab es hier oben ja reichlich. Und langweilig wurde es in der Präsenz der schönen Berge nie. Gerne blieb ich eine Weile irgendwo sitzen und blickte zu der anmutig kraftvollen Monte Rosa hinüber; Diese weiße Riesin, die Göttin der Alpen. An meinem trautem Heim angekommen legte ich mich wieder entkräftet auf mein Bett. Warten und starren. Meine Lieblingsbeschäftigung. Manchmal Augenschließen und Dösen. Doch irgendwann stand ich auf. Es gab eine neue Mission. Denn die bevorstehende Nacht würde eine Besondere sein. Es war die dritte Nacht meiner Zeit alleine in der Wildnis. Es war die Neumondnacht in welcher ich sterben sollte. Nicht wirklich natürlich. Mein Körper sollte ganz heil und unversehrt bleiben. Aber mein Geist, mein altes Ich, das sollte sterben, um Raum zu geben für das Ich, welches ich von nun an leben mochte. Hierfür galt es ein Medizinrad zu errichten, welches gerade einmal so groß war, dass ich darin sitzen, mich aber nicht hinlegen konnte. Denn ich sollte die ganze Nacht, von der Abenddämmerung bis zum ersten Morgenlicht, wach an Ort und Stelle bleiben. Dies sollte mir ermöglichen den Prozess des Vergehens und Werdens zu beobachten und vor allem mein neues Ich mit einem kraftvollen Willen stärken. Also ging ich auf die Suche nach 16, etwa melonengroßen Steinen, welche mir gefielen. Diese auf meine Felsenplattform zu manövrieren war mittlerweile ein Kraftakt, zu welchem ich mich wahrlich zwingen musste. Nach jedem gelegten Stein brauchte ich eine Pause. Doch irgendwann bildete sich ein Rad. In die Mitte stellte ich einen weiteren Stein als Zentrum; Er war spitz und schneeweiß, mit kleinen Flechtentupfern versehen. Fast wirkte er wie ein Kristall. Aus den Felsenspalten holte ich das Holz, welches ich an meinem Anreisetag bereits vorbereitet hatte, hervor und legte es für das nächtliche Feuer bereit. Dann wartete ich auf den Sonnenuntergang. Doch dieser zog sich ewig lang hin. Ich überlegte, ob ich noch etwas schlafen sollte, um für die Nacht fit genug zu sein. Doch zuvor galt es noch einmal zu trinken. Ich hatte viel ausgeschwitzt und die Anstrengungen hinterließen ein taubes Gefühl in meinem Kopf. Meine Flasche war leer. Also befüllte ich sie wieder mit Wasser aus meinem 20 Liter Sack und trank ein paar Schlucke, welche ich sofort wieder ausspuckte. Ekelhafter Plastikgeschmack! Immer noch! Ich hatte diesen Wassersack ausgewählt, weil er laut des namenhaften Herstellers keine giftigen Stoffe enthalten sollte. Ob nun giftig oder nicht, mir war es sehr fremd an diesem wilden Ort in diesem naturverbundenen Zustand Wasser zu trinken, welches nach Kunststoff schmeckte. Tatsächlich musste ich ein paar mal würgen, so sehr ekelte mich der Geschmack an. „Also gut!“, dachte ich mir: „Noch einmal Kräfte sammeln und ab zum Bach!“ Währenddessen sank die Sonne tiefer und tiefer und als ich schlussendlich mit einer gefüllten Blase und einer vollen Wasserflasche zu meinem Lager zurückkehrte, lugten nur noch ein paar müde Sonnenstrahlen schwach über die Berge im Westen. In dieser Richtung setzte ich mich nun in das Medizinrad. Ich blickte nach Osten, wo nach einer langen Nacht voller träger Stunden irgendwann die Sonne wieder auftauchen würde, um mein neues Ich zu begrüßen. Doch jetzt sollte dort erst einmal ein Feuer brennen. Ich baute mein Tipi und entzündete es mit Birkenrinde. Die sich darin befindenden ätherischen Öle machen sie zu einem hervorragendem Zunder! Weiter unten im Tal sah ich ein weiteres Feuer durch die frische Dunkelheit schimmern. Dann noch eines. Als ich in den Westen blickte erschien auch dort eines. Die Feuer der Anderen. Auch sie waren bereit standhaft ihrem Vergehen und Werden in dieser Nacht beizuwohnen. Von noch weiter unten im Tal tönten dumpfe Trommelschläge herauf. Erst langsame, einzelne Schläge. Dann galoppierten sie schneller und lauter durch den Lärchenwald, quer über die unebene Felsenstrecke der Himmelsleiter zu uns hinauf und verloren sich schließlich in der Weite der Sterne. Ich nahm mir zwei Stöcke und trommelte, auf den Fels schlagend, mit. Dabei sang ich ein weiteres Lied, welches wir bereits in den Tagen vor der Solozeit oft sangen:


Wir kommen aus dem Feuer, Wir kommen aus dem Wasser,

Wir kommen aus der Erde aus der Luft, Wir kommen aus der Liebe,

Wir kommen aus dem Licht, Wir kommen aus der Kraft, die Leben schafft! Aus der Liebe, aus dem Licht, Aus der Kraft die Leben schafft! Wir gehen in das Feuer, Wir gehen in das Wasser, Wir gehen in die Erde, in die Luft, Wir gehen in die Liebe, Wir gehen in das Licht, Wir gehen in die Kraft die Leben schafft! In die Liebe, in das Licht,

In die Kraft, die Leben schafft!

Plötzlich brachen die Trommelschläge abrupt ab. Auch ich verstummte und blickte in die lodernden Flammen meines Feuers. Dann horchte ich auf. War es etwa...? Ja, tatsächlich! Wolfsgeheul! Die vierbeinigen Gesellen riefen wohl dem fehlenden Mond hinterher. Eine ganze Weile lauschte ich freudig erregt ihrem wilden Chor, bis auch sie schließlich die Nacht der Stille übergaben. Bereits jetzt spürte ich eine große Müdigkeit aufsteigen. Zu erschöpft war ich vom Tag. Am liebsten würde ich mich in meinen Schlafsack kuscheln und einfach einschlafen. Mein Körper sehnte sich nach Ruhe. Wie sollte ich da bloß die ganze Nacht wach bleiben? In meiner Tasche fand ich das Harz, welches ich bei der knorrigen Lärche gesammelt hatte. Neugierig hielt ich ein Stück nah an die Flammen. Es warf Blasen und fing an zu rauchen. Als ich es unter meine Nase hielt, stieg mir ein angenehm süßer Duft entgegen, der mich ganz warm fühlen ließ. Nach und nach verschlang das Feuer ein Holzscheit nach dem Anderen. Fasziniert blickte ich in die funkelnde Glut und folgte mit meinem Blick den tanzenden Funken in die klare Nacht, wo sie zwischen den Sternen verschwanden. Die Feuer der anderen erloschen irgendwann ebenfalls in der Ferne. Auch mein Holz war schließlich aufgebraucht. Ich zog meinen Schlafsack enger um mich und beobachtete das sterbende Feuer. Lechzend züngelten die Flammen um die rot-goldene Glut, versuchten vergeblich Nahrung zu erhaschen. Doch vergeblich. Das Feuer ging aus und hinterließ ein glühendes Nest. Das Nest des Phönix. Immer noch starrte ich in den wärmenden Schein, solange, bis das letzte rötliche Licht verglühte. Der letzte Lebensfunke. Mein altes Ich sollte mit ihm gehen. Von nun an war die Nacht die Phase des Todes. Eine Phase, die mein Körper am liebsten schlafend zugebracht hätte. Der atemberaubende Anblick des endlosen Sternenhimmels konnte mich jedoch erst einmal wachhalten. Lange war es her, dass ich so viele Sterne sah. Keine Lichtverschmutzung störte das, was uns immerzu umgibt. Keine Stadt, keine Laterne, kein Feuer, ja nicht einmal der Mond betrübte in dieser Nacht das Glitzern der unzähligen Sonnen ferner Welten. Im Osten leuchtete ein Stern besonders hell. Er zog mich in seinen Bann. Es schien mir, als schimmerte er leicht bläulich. Nach der Quest sollte ich von Shanti erfahren, dass dieser Stern eigentlich ein Planet sei; und zwar der Jupiter. Auch erfuhr ich später, dass der Jupiter für Überfluss und Genuss steht, aber auch für Extrovertiertheit. Da dieser sich aber in diesem Jahr von Juli bis Oktober rückwärts läufig bewege, fordere er uns eher dazu auf innezuhalten, in Stille zu sein und unser wahres Glück im Innern zu finden. Für mich war dieser helle Punkt am Himmel jedoch nicht nur ein Stern, sondern auch eine Uhr. Denn ich erinnerte mich daran, dass ich diesen „Stern“ bereits zu Beginn der Solozeit, früh am morgen vor Sonnenaufgang, über der Monte Rosa schweben sah. Immer wieder schielte ich zu ihm herüber. Wie weit war er noch von den Gletschergipfeln der Rosa entfernt? Wie lang würde diese Nacht noch dauern? Die Müdigkeit hatte mich fest in ihrer Hand. Immer wieder sang ich ein Lied. Oder ich stand für eine kurze Zeit auf, schaute mich um, versuchte die wenigen Sternenbilder zu finden, welche ich kannte. Davon bekam ich allerdings eine Nackenstarre. Schließlich legte ich mich doch hin. Nicht lang ausgestreckt, denn dafür war das Medizinrad, in welchem ich ja die ganze Nacht verbringen sollte, zu klein. Außerdem hoffte ich so, die Gefahr des Schlafes zu mindern. Ich wollte ja bloß einmal meinen Rücken entspannen und dabei den schönen Himmel in seiner Gänze genießen. Tatsächlich erkannte ich einige Sternenbilder: den großen und den kleinen Wagen natürlich. Aber auch den Schwan, den Adler und die Leier, welche drei hellsten Sterne, Deneb, Altair und Vega das sogenannte Sommerdreieck bilden. Ich dachte an meine Liebsten, meine Freundin und unseren Sohn, da zischte eine Sternschnuppe in unsere Atmosphäre. Ein stiller Wunsch und ein liebevoller Gruß flogen zu den Sternen hinauf und von dort aus sanft zu ihnen hinab. Wohlig warm war mir, in Gedanken und im Körper. Da fielen mir die Augen zu. Hastig riss ich sie wieder auf. Ich blickte zu dem hellen Stern hinüber. Habe ich geschlafen? Wenn ja wohl kaum lange, denn er war noch nicht sehr weit gekommen. Ich wollte aufstehen, rieb mir die Augen, doch sie fielen einfach wieder zu. Schlief ich? Ich weiß es nicht. Ich glaube schon. Denn als ich die Augen wieder öffnete, hatte ich keinen blassen Schimmer mehr, wo der Jupiter zuvor gewesen ist. Mit aller Kraft rappelte ich mich auf. Wieso sollte man eigentlich wach bleiben? Wo bleibt denn da die Totenruhe? Solche Fragen erschwerten mir die Standhaftigkeit, ließen dafür meinen Geist arbeiten und damit wach bleiben. Dennoch spürte ich die Erschöpfung des Tages nach wie vor. Das Denken fiel mir schwer. Gedanken kamen und gingen, aber wirklich konstruktiv folgen oder einen behalten konnte ich kaum. So saß ich wieder da, im Westen, mein Gesicht gen Osten gewandt und wartete. Immer wieder sank ich zusammen, musste mein Gesicht reiben, aufspringen, tönen, irgend etwas, um ja nicht einzuschlafen. Doch um ehrlich zu sein gelang es mir nicht. Zwar schlief ich sicherlich nie lange, doch all zu oft schlich der Schlaf sich heimtückisch an mich heran, um mich zu betäuben und mich mit ihm fortzuziehen. Und immer wieder war ich überrascht, wenn ich ihm gerade noch so entglitt, meine Augen wieder öffnete und den hellen Stern über den Schattengipfeln anstarrte. Wann ist diese Nacht bloß endlich vorbei? Ich bin doch bereit zu leben! Mein neues Ich zu leben! Ich bin bereits mehr als bereit liebender Vater zu sein! Und ich bin bereit die Aufgabe anzunehmen, welche mich erwarten wird!

Aber welche wird das sein? Werde ich mit Klarheit sehen können? Und wann ist diese Nacht bloß endlich vorbei? Doch die unendliche Weite der Dunkelheit verhöhnte mich bloß mit stillen Echos. Alles zu seiner Zeit. Irgendwann war ich einfach nur noch. Meine Gedanken schienen so leer wie der unsichtbare Mond (auf schwitzerdütsch sagt man übrigens Leermond). Möglicherweise döste ich noch das ein oder andere mal ein. Möglicherweise auch nicht. Ich habe keine wirkliche Erinnerung mehr an die vielen Stunden, die mir irgendwann gar nicht mehr so lange vorkamen. Die Nacht nahm mich vollkommen ein, war allumfassend und zog sich schließlich, ganz vorsichtig, langsam, still und sanft zurück. Zum Abschied verschmolz sie mit dem Tag in einer zuerst schüchtern blauen, dann immer heller leuchteten bis sich rosa verfärbenden Umarmung. Dann war sie weg. Einfach weg. Wow! Es war tatsächlich hell. Über dem Monte Rosa sah ich noch fahl das Licht des hellen Sternes schimmern. Auch wir verabschiedeten uns voneinander. Und nun? Schlafen! Ich stand auf, schritt durch den Norden in den Osten. In der Ferne hörte ich die Trommeln rufen. Erleichtert legte ich mich neben das Medizinrad hin und schlummerte ein. Solange, bis die Sonne mich närrisch weckte: „He du da! Schlafmütze! Willst du etwa die Wunder dieses Tages verpassen!?“ Müde blickte ich zu ihr hinauf, meine Hand vor den Augen, als Schutz vor ihrer Schönheit. Ich habe die Magie der Nacht erlebt, das reichte mir vorerst. Doch es half ja nichts. Unter ihrem strengen Blick wars mir jedenfalls eh viel zu heiß. Ich streckte mich und reckte mich und begab mich auf meine alltägliche Routine: Mein Steinmännchen am Postkasten erbauen und Wasser holen. Nach dieser Arbeit war ich wieder völlig erschöpft. Ich hatte zuvor gehört, dass die meisten am vierten Tag voller Energie geladen seien. Bei mir war das definitiv nicht der Fall. So zog ich mich den Schatten meines kleinen, schattigen Felsspalts zurück und schlief erneut. Der Tag verlief unspektakulär. Zwischen schlafen und Trinken, pinkeln und Wasserholen erschien mir weder ein Steinbock, noch irgendeine besondere Erleuchtung (zwei der Dinge, die ich mir insgeheim gewünscht hatte, an deren Begegnungen ich jedoch fast nicht glaubte). Im Grunde war dies einfach ein Tag des Seins. Ohne große Gedanken oder Taten. Mein Körper war schwach. Er fühlte sich labbrig an. Weich, als besäße er kaum Knochen die ihn stabilisierten, geschweige denn Muskeln, die ihn trugen. Umso mehr war ich immer wieder erstaunt darüber, dann doch die eine oder andere hindernisreiche Wegstrecke hinter mich zu legen, wenn ich erneut Wasser holte, oder ich eine der alten Lärchen am Hang besuchte. Von dort aus beobachtete ich die Wanderung der sich stetig neu formenden Gebilde am Himmel. Wolken verwandelten sich in Kaninchen, Schafe, Schildkröten, Vögel und Drachen. Träge schwebten sie über die Berggipfel und in neuen Formen von dannen. Schließlich ging auch dieser Tag vorüber und als hätte ich auch am Tage kaum geschlafen, sank ich sofort ins Reich der Träume hinab. Als der nächste Morgen mich weckte konnte ich es kaum fassen; Die vier Tage waren vergangen! Heute war der Tag, an welchem es galt, meine Höhle, welche mir ein richtiges Zuhause geworden war, zu verlassen. Heute war der Tag, an welchem ich hinab zum Lager und wieder zu den Menschen gehen sollte. Zuvor hatte ich gedacht, dass ich nach den Tagen alleine in der Natur eher Schwierigkeiten haben würde, wieder aus der Stille zu treten. Aber mein Magen grummelte mir ärgerlich und unmissverständlich zu, dass er sich über die Gesellschaft einiger Esskumpanen durchaus freuen würde. Unvorstellbar wäre es mir aber wohl gewesen, sofort wieder in eine Ortschaft zu gehen. Daher war ich sehr froh darüber zu wissen, dass ich zwar wieder zu den Menschen stoßen werde, jedoch auf der Alpe Mecchia nach wie vor von schönster und wilder Natur umgeben sein werde. Also folgte ich den Anweisungen meines Magens und packte meine Sachen. Noch ein letztes mal zum Bach, meine Wasserflasche auffüllen. All die Steine, Bäumenund Sträucher, an welchen ich vorbeikam und die mir in so kurzer Zeit so bekannt geworden waren, liebte ich zum Abschied mit meinem Dank für ihr schönes Sein. Auch bei der Höhle bedankte ich mich für Schutz und Geborgenheit. Und der fetten Spinne, die unter einem der Steinen lebte, auf welchen ich schlief, dankte ich, dass sie mir nachts nicht in meinen Mund gekrochen ist. Wahrscheinlich dankte sie mir ebenso dafür, dass ich sie nicht behelligt hatte.

Dann gings hinab zur Alpe! Ein langer Marsch in Zeitlupe. Der große Rucksack auf meinem Rücken war eine zusätzliche Herausforderung zu meinem geschwächten Zustand. Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor den anderen, darauf bedacht, weder in einen Spalt zu rutschen, noch auf einem losen Stein das Gleichgewicht zu verlieren, suchte ich immer wieder zuerst mit meinem treuen Stock einen festen Stand, bevor ich den nächsten Schritt tat. Es war erstaunlich, dass die Wanderung für meinen Körper zwar mühselig war, er jedoch auch nach längerem Wege keine zusätzliche Schwäche anzeigte. Es schien mir sogar so, als könnte ich, solange ich weiterhin im Schneckentempo voranschritt, den ganzen Tag weiter laufen. Irgendwann aber stieg ich über einen Blaubeerbusch und war plötzlich wieder auf dem Wanderweg, der direkt zur Alpe führte. Auf diesem ebenen und sicheren Weg ging es erstaunlich schnell weiter und hinein in den märchenhaften Lärchenwald. Bald schon erreichte ich die Lichtung auf welcher sich die Alpe Mecchia befand. Zivilisation! Jedenfalls ein bisschen. Ich schmunzelte. Dann erreichte ich die Ureltern, die alten Lärchen, unter welchen sich die Schwelle befand und von wo aus ich am Morgen vor vier Tagen meine Solozeit begonnen hatte. Dort warteten bereits Martin und Andreas. Sie empfingen mich mit warmem Lächeln und luden mich ein über die Schwelle zu treten und zurück zu den Menschen zu kehren. Erst war es sehr merkwürdig wieder zu reden und einem anderen Menschen in die Augen zu schauen. Die beiden räucherten mich mit Beifuß, und als ich den Schritt über die Schwelle trat, schnitten sie hinter mir eine unsichtbare Verbindung zur Geisterwelt ab und hießen mich mit einer Umarmung herzlich willkommen. Ganz benebelt vom Rauch und von dem plötzlichen Kontakt musste ich mich erst einmal setzen und grinste breit.

Es tat tatsächlich sehr gut die beiden wieder zu sehen. Nach und nach trudelten alle ein. Das war eine Freude! Lachend, wissend, blickten wir einander tief in die Augen und umarmten uns. Dann gab es eine warme Brühe und Tee. Irgendwann eine köstliche, geschmorrte Birne und am Abend schließlich einen großen leckeren Couscous Salat. Das war ein Fest! In den folgenden Tagen verwöhnten uns Martin und Andreas geradezu mit den leckersten Speisen. Ich weiß nicht, wann ich das letzte mal Essen so sehr genießen konnte. Jede Zelle meines Körpers schien, glücklich über den Energienachschub, auf und ab zu hüpfen. Jederzeit würde ich wieder mehrere Tage auf essen verzichten, nur um in diesen einzigartigen Genuss zu kommen. Mindestens dafür hatte es sich allemal gelohnt, diese vier Tage auszuharren. Ich war schon ganz gespannt darauf die Geschichten der anderen zu hören. An diesem Tage jedoch, wurde uns empfohlen stillzuschweigen und erst dann über unsere Zeit zu reden, wenn wir in den nächsten Tagen um das Medizinrad beieinander sitzen sollten und die Zeit unserer Geschichte kommen würde. Es war wirklich toll wieder im Kreis dieser Männer zu sein. Ich liebte unsere kleine Gemeinschaft, die mal voller Tatendrang sich um Feuer, Wasser und Essen kümmerte, dann aber auch sich im Kreise in herzensoffene Gespräche vertiefen konnte. Eine Gemeinschaft aus starken, wilden Männern, die dennoch herzensoffen und voller Zärtlichkeit waren; Echte Männer eben! Die Geschichtenzeit war selbstverständlich sehr berührend. Diese Zeit empfand ich als besonders intim und daher werde ich hier nicht viel davon schreiben. Meine Geschichte kennt ihr nun ja. Nur so viel: alle Männer strotzten nur so von Kraft und die Augen leuchteten lebendig bei dem Jeweiligen, der erhobenen Hauptes, wie ein Häuptling, im Westen auf dem vorgesehenen Platz saß und seine Geschichte erzählte. Am Ende einer jeder Geschichte gab es für den Erzählenden die Möglichkeit etwas seinen Ahnen zurück zu geben. Meistens war dies etwas Belastendes. So durfte ich einen oder mehrere Gegenstände einem Altar, und damit symbolisch meinen Ahnen, überreichen. Ich selbst gab meinen Vorfahren, vor allem all' den Männern, einen rostigen, verbogenen Nagel. Dieser symbolisierte für mich die Härte und die Schläge, welche sie ertrugen und die auch sie verbogen und ganz hart werden ließen. Ich gab ihnen diesen Nagel als Zeichen, dass dies ihre eigenen Geschichten seien und ich diesem Beispiel nicht folgen werde. Auch wünschte ich ihnen Heilung. Desweiteren reichte ich ihnen einen versteinerten Ammoniten. Seine Spirale spiegelte für mich die Schönheit dieser Welt und der Natur wider. Es war mir ein Anliegen in meinen Ahnen das Wissen dieser Heiligkeit wieder zu erwecken. Außerdem wollte ich ihnen damit ein Zeichen setzen, dass die Zerstörung der Schönheit des Lebens nicht in Ordnung ist. Nach dieser Übergabe schnitt Shanti, als Ältester, die negative Energie zwischen mir und meinen Ahnen ab, sodass uns nur noch Liebe verbinden sollte. Diese Macht wurde ihm von seinem indianischen Lehrmeister Semu Huaute vom Stamme der Chumash übermittelt. Shanti initiierte zudem einen jeden von uns und vergab einen Indianernamen, passend zu der Essenz der jeweilig erzählten Geschichte. Meiner lautet: Father Tree, Shooting Star.


Wer tanzt wie eine Feder

Wer brüllt wie ein Löwe Wer weint wie der Regen Und ruht wie die Nacht,


Der hat die Seele seiner Landschaft durchschritten, Der hat gelebt, geliebt, gelacht und gelitten,

Ist dabei ganz geworden.


Nach der Initiation - Mit neuem Kurzschnitt und neuem Weitblick


In der zweiten Nacht nach Neumond erschien mir eine Vision. In Mitten der Nacht wachte ich auf. Mein Körper allerdings schlief dabei tief und fest. Nur mein Geist war hellwach. Ich spürte deutlich, wie meine Muskeln völlig entspannt waren, mein Kiefer offen stand und mein Atem sich ruhig hob und senkte. In diesem Zustand erschien vor meinem inneren Auge ein glasklarer, fein und gleichmäßig geschliffener Kristall. Worte kamen mir in den Sinn. Die Zeit zu handeln ist jetzt. Daraufhin das Bild, wie ich ein Paddel in der Hand halte und mein Kanu in eine klare Richtung lenkte; in eine Zukunft welche unseren Kindern eine liebevolle Welt im Gleichgewicht hinterlässt. Dann bemerkte ich weitere Männer im Boot, welches mir nun viel größer erschien; Die Männer mit denen ich zur dieser Zeit auf der Alpe Mecchia war. In einem kraftvollen Rhythmus steuerten wir durch die starken Strömungen in die Richtung, die wir uns erträumen und wünschen. Den klaren Kristall über uns stehend. Wage nehme ich viele weitere Boote war, die auf dieser Reise mit uns sind. Diese unverhoffte Vision, die mit dem Bild eines glasklaren Kristalls begann, hinterließ ihre Schwingungen in meinem Bewusstsein. Sie wird meinen weiteren Weg mitformen. Denn ich wünsche mir eine Welt der friedlichen Freiheit. Eine Welt, in der wir uns gegenseitig erlauben frei zu sein, und dennoch miteinander und füreinander Sorge tragen. Eine Welt, in welcher ein jeder Mensch eine von Liebe erfüllte Beziehung zu sich selbst, den Mitmenschen, den Tieren, sowie allen Pflanzen führt. In der wir, als Individuum, sowie als menschliches Kollektiv, bewusster Teil der Natur-Gemeinschaft sind und mit allen ihren Mitgliedern in Harmonie leben. Das mag naiv klingen, träumerisch, gar kindisch. Doch sind Träume nicht dazu erwählt, wie Wasser welches aus dem Felsen quellt, in dieser Welt seine fruchtbaren Furchen zu hinterlassen? Und sind wir nicht alle im Kern damit verbunden, was als Kind das Leben so fantastisch macht?; Unser spielendes, ursprüngliches, liebendes, kreatives Wesen, welches begeistert ist von der Magie dieser Welt. Ich weiß nicht, ob ich eine solche Welt erleben werde, in welcher Menschen niemals aufhören werden die Schönheit ihres Kinderwesens zu leben und in welcher wir als Menschheit wieder im Einklang mit unserer Mutter Erde leben werden. Ferner weiß ich, ob solch eine Welt jemals existieren wird. Noch ist diese Welt mein Traum. Höchstens eine Vision. Und es ist in Ordnung, falls das menschliche Kollektiv sich für eine andere Version ihrer Realität entscheidet. Aber noch werde ich weiter an diesem Traum festhalten und meine Schritte in seine Richtung gehen. Denn wer keinen Mut zum träumen hat, hat keine Kraft zu kämpfen. Und zur Not werde ich kämpfen! Für mich, für meine Familie, für die Welt! Drum' träume ich weiter - solange, bis ich weiß, wie ich diesen Kampf zu führen habe. Oder bis ich weiß, dass kein Kampf mehr vonnöten sein wird und die Welt tief in mir selbst und weit um mich herum von Friede erfüllt ist.

Der Weg ins Tal

Als die zwei Wochen tatsächlich ihr Ende fanden, fiel es mir gar nicht so leicht, den Weg zurück ins Tal anzutreten. Denn ich fühlte mich mittlerweile sehr zu Hause auf der Alpe Meccia, der Lichtung im Lärchenwald. Und auch mit den anderen Männern. Es verdeutlichte mir, welchen Unterschied es macht, ob man für ein Naturritual mal eben in den Monokulturwald nebenan geht, und sich ein paar Tannenzapfen für den Altar im beheizten Wohnzimmer mitnimmt, oder ob für ein solches Ritual das Wohnzimmer einem wilden Wald weicht. Die wilde Berglandschaft war unser Kraftort und Lebensraum zugleich. Das Wetter, die Tiere und die Pflanzen waren fester Bestandteil unseres Alltags und die von uns selbst gezogenen Grenzen zwischen der Natur und uns Menschen schwanden mehr und mehr. Unser Mittelpunkt waren Bäume; Die alten Lärchen, deren wahre Schönheit ich erst in einem Moment der völligen Präsenz erkennen konnte. Mit uns speisten Tiere; die putzigen Gartenschläfer, denen wir schließlich als „Miete“ immer einen Resteteller übrig ließen. Freunde berichteten mir von ihren Visionssuchen bei anderen Veranstaltern; Es scheint nicht unüblich, dass der Ort gewechselt wird und teils nur die Solozeit in einer halbwegs wilden Natur stattfindet. Wahrscheinlich fällt vielen die Überwindung leichter, eine solche intensive Zeit in der Natur zu wagen, wenn der Komfort wenigstens außerhalb der vier Tage noch ein wenig aufrecht erhalten wird. Um möglichst vielen Menschen eine Vision Quest zu ermöglichen, ist sicherlich auch solch ein Angebot wichtig. Für mich wäre dies jedoch unvorstellbar. Denn ich halte es für sehr wertvoll, die gesamte Zeit der Vision Quest, inklusive Vor- und Nachbereitungszeit, mit dem Aufenthalt in einer möglichst wilden Umgebung zu verbinden. Nicht nur aufgrund der enormen Entschleunigung, wenn man zwei Wochen im Wald verbringt. Auch der tiefe Kontakt, welcher zwischen den Menschen und den Wesen der Wildnis in einer solchen Zeit entsteht, unterstützt den Prozess zu sich selbst zu finden enorm. Denn, so glaube ich, die Wildnis da draußen spiegelt auch unsere eigene Wildnis wieder. Und was ist Wildnis? Es ist das ursprüngliche „Natursein“. In einer Zeit, in der die Natur, die des Menschen mit eingeschlossen, immer mehr einer künstlichen Dystopie weichen muss, halte ich es für umso wichtiger, dass wir wieder in einen intensiven und liebevollen Kontakt mit dem kommen, was wir wirklich sind und wo wir eigentlich zu Hause sind. Unsere Heimat ist die Natur da draußen, welche sich in unserer eigenen Widerspiegelt. Und es ist die Gemeinschaft, in welcher ein Mensch die Grenzen seiner isolierten Gefühlswelt verlassen darf und echte Verbindung stattfindet. Daher bin ich Martin, Andreas, Shanti, den „Männern“, sowie den Ureltern, den Schmetterlingen, dem Rauschen des Wassers, der Monte Rosa und all den anderen Wesen welche mich berührten und die sich durch mich berühren ließen sehr dankbar! Sie waren für mich ein sehr wichtiger Bestandteil meines eigenen Prozesses. An diesem Punkt möchte ich auch nochmal meinen Dank an all jene aussprechen, welche mir diese Initiation durch eine finanzielle Unterstützung ermöglicht haben. Im Nachhinein würde ich fast sagen, dass ich aus den Tagen vor und nach der Solozeit mehr mit nahm, als durch die Quest selber. Dies lag hauptsächlich an dem liebevoll und doch stark gehaltenen Rahmen, sowie die Spiegel der anderen und das wilde, pure Leben dort oben in den Bergen. Die Solozeit selbst jedoch war im Grunde der Mittelpunkt des Prozesses, umarmt von den Tagen zuvor und danach; sie war die bewusst erlebte Pause zwischen den Atemzügen.



Im Schutz der Ureltern


Open Space nach der Vision Quest

Nachwort und Werbung Unten im Tal: Meine nackten Füße hatten ein lachendes und ein weinendes Auge. Auf dem glatten Asphalt konnten sie unbedenklich laufen, ohne der Gefahr ausgesetzt zu sein, sich an einem Stein zu stoßen, über eine Wurzel zu stolpern, oder sich einen Stachel einzutreten. Doch trotz dieses Komforts, fehlte ihnen etwas: der Kontakt zur Erde. Es war merkwürdig, seine Schritte nicht mehr achtsam, sondern möglichst schnell zu gehen. Noch merkwürdiger war es, sich ins Auto zu setzen und gar keine Schritte zu machen, dafür jedoch umso schneller sich durch die Berglandschaft zu schlängeln. Bäume rasten vorbei, Bäche, Dörfer, Schilder, Werbung. Nach und nach gewöhnte ich mich aber auch daran wieder. Und als ich in Domodossola am Bahnhof ankam, wich die Verwirrung einer großen Freude: Denn dort standen meine Liebsten vor mir! Es kam mir fast so vor, als seien seit unserer Abschiedsumarmung Monate vergangen. Um so mehr genoss ich nun unsere neuentdeckte Nähe. Ich freute mich riesig darauf, den beiden die Alpe Mecchia und all ihre Bewohner zu zeigen. Denn meine Zeit dort oben durfte glücklicherweise noch weiter gehen. Der Crea Vista Campus bot im direkten Anschluss an die Quest ein „Open Space“ auf der Alpe an. Open Space bedeutet Raum für alles. Jeden Sommer ist Shanti für ein paar Wochen dort oben und alle die Lust auf Alpleben haben, dürfen jederzeit kommen und gehen. Egal, ob sie in der frischen Bergluft einfach mal runter kommen möchten, Lust auf Gemeinschaft haben, oder ein 24 Stunden Solo machen möchten. Alles darf sein und nichts muss. In dieser Zeit durfte ich die Alpe nochmal in einem ganz anderem Licht erleben. Denn nun gab es keinerlei festes Programm mehr. Stattdessen konzentrierte sich der Alltag auf das Leben der Gemeinschaft, welches aus sehr simplen Dingen bestand: Holz suchen/hacken,Wasser holen, Kräuter sammeln, Feuer machen, Kochen, Essen, Singen, Musizieren, Spielen, Wandern, Baden... Auch wurde das eine oder andere gebaut und repariert. Für uns persönlich war es sehr schön zu merken, dass wir als Eltern von der „Gemeinschaft“ unterstützt wurden. Zwar war unser damals fünf Monate alter Sohn der jüngste „Dorfbewohner“, aber es gab auch noch zwei andere Kinder. Diese tigerten und sprangen über die Felsen, oder kullerten über die Wiese. Das Leben auf der Alpe schien ihnen gut zu tun. Bloß das gesunde Essen der Erwachsenen war eine Qual für die süßen Kinderseelen. Falls jemand an der Vision Quest dort oben interessiert ist, aber nicht gleich den Sprung ins kalte Wasser wagen möchte, kann sich bereits im Open Space an den Ort und das Sein dort oben herantasten. Auch denjenigen, die Lust auf Gemeinschaft, oder einfaches Sein in der Natur haben, kann ich das Open Space, bzw. die offene Visionszeit sehr empfehlen. Hier der link zu den Terminen der CreaVista Academy https://creavista.org/termine/ und die Seite von Martin und Andreas https://wildundlebendig.ch/

Hier der direkte link zum Open Space : https://creavista.org/veranstaltungen/creavista-open-space-2022/

Und zur offenen Visionszeit https://wildundlebendig.ch/offene-visionszeit Für alle mutigen Frauen, die eine Initiation in der Wildnis wünschen https://creavista.org/veranstaltungen/visionquest-frauen-2022/

Für alle jungen Menschen, die kein Schnuppern mehr benötigen und den Ruf nach einer Initiation in ihr eigenes, selbstbestimmtes Leben spüren, können diesen links folgen. https://wildundlebendig.ch/visionssuche-fuer-junge-menschen/ Für alle, egal ob jung oder alt, die eine Vision Quest machen möchten, gibt es dieses Angebot: https://wildundlebendig.ch/visionssuche-fuer-alle/ Und wer an einer tiefgreifenden Lebenswandler/VisionQuesteiter- Ausbildung interessiert ist, schaut mal auf der CreaVista Seite vorbei: https://creavista.org/bildung-fuers-leben-potential-entfalten-mit-freude-lernen/

So, das war dann noch die Werbung zum Schluss ;)

Wer zwar gerne eine Vision Quest machen möchte, jedoch Schwierigkeiten mit der Finanzierung hat, kann sich dennoch bei den Quest Anbietern melden. Eine Lösung kann immer gefunden werden. Zum Beispiel vielleicht durch Tauscharbeit oder durch ein Crowdfunding, so wie ich das gemacht habe. Wer mehr zu meinem Prozess diesbezüglich erfahren möchte, kann gerne meinen Bericht dazu HIER lesen. Mögen viele Menschen solch eine heilende Erfahrung erleben dürfen.



Wilde Seelenlandschaft

In der heutigen Zeit werden Vision Quests für viele Lebensthemen, ja gar zur Heilung von Traumata genutzt. Dafür reichen meist natürlich keine vier Tage des Alleinseins aus. Diese Phase ist in einer begleiteten Vision Quest bloß der Mittelpunkt. Für meinen persönlich Prozess waren die Tage vor und nach der Solozeit sogar wichtiger, als die Quest selbst. Was mit Sicherheit auch an der wertvollen Leitung des Vision Quest Teams des Crea Vista Campus' lag. Martin Fuchs, Andreas Föhr, sowie Shanti E. Petschel gaben sich der Gruppe gegenüber völlig herzensoffen und nah und hatten keine Scheu auch ihre eigenen Themen mitzuteilen. Dies lies uns in Vision Quest - Eine Initiation zum Vater-Seinkürzester Zeit wie ein echter „Tribe“ fühlen. Trotz dieser (glücklicherweise) fehlenden Distanz zwischen Teilnehmern und Leitern, war ihre Führung und ihre unterstützende Kraft doch völlig kompetent und allgegenwärtig. Ihre liebevolle, bestärkende und weise Art half uns selbst tief und weise mit unseren Themen umzugehen. Mit Sicherheit war aber auch der Ort selbst an dem Erfolg unserer Prozessarbeit beteiligt. Die Alpe Mecchia, der Ort, an welchem der Crea Vista Campus seit ungefähr 30 Jahren Vision Quests durchführt, beheimatet viele kraftvolle Wesen. Am Rande der Lichtung stehen die sogenannten „Ureltern“, ein jahrhunderte, wenn nicht sogar tausendjähriges Lärchenpärchen, deren Wurzeln und Hauptstamm eng umschlungen eins wurden. Diese uralten Bäume, deren gewaltige Gestalt aus der Ferne eher an Eichen erinnert, sind der Mittelpunkt des Rituals. Sie sind die Schwelle; unter ihnen haben schon viele Menschen zuvor Klarheit, Kraft und Frieden gefunden, Doch auch die kleineren Wesen, wie beispielsweise die zutraulichen „Mohrenfalter“ oder auch „Waldteufel“ genannt, die eher wie kleine Engelchen oder Bergfeen wirken, können starke Prozessbegleiter sein. Einer der Teilnehmer erzählte von einem Erlebnis, welches er in einer Phase der Wut und des Schmerzes erfuhr; Erst fühlte er sich mit diesen Gefühlen ganz alleine und verlassen, doch plötzlich schien es ihm, als sehe die Natur direkt in sein Herz, als sei sie voll und ganz da mit ihm, ja für ihn. Tatsächlich vernahm er eine innere Stimme, welche ihm sagte: „Ich sehe dich!“ Er nannte sich selbst einen Narren, zu glauben die Natur sehe ihn und würde mit ihm sprechen. Doch just in diesem Moment setzte sich einer der braunen, flauschigen Falter auf seine Nase und stierte ihm direkt in die Augen. Wir sind nie alleine.

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