Der Ruf des Nordens
- louël

- Oct 29
- 6 min read
(Die AUDIOVERSION findet ihr am Ende des Blogposts)
„Norden ist unser Glück, und wir schwören auf ein neues Zurück.“
Ein Schwur, ein Versprechen. Lange klangen diese Zeilen in uns nach, als wir vor 2 Jahren Skandinavien verließen.
„Norden ist unser Glück, und in uns bleibt nur die Erinnerung zurück.“, geht das Lied weiter.
Ein Versprechen, welches sich bloß in Erinnerungen verlieren sollte?

Im Grunde wollten wir lediglich für wenige Monate zurück nach Deutschland. Unserem Wohnmobil eine neue HU verpassen, meiner Mutter bei ihrem Umzug helfen, und Lou hatte vor den Führerschein zu machen. All dies ist auch geschehen. Doch statt in den Norden führte uns das Leben über einige Stolpersteine und ohne Wohnmobil in den Süden; nach Italien. Wer die Blogberichte der letzten Jahre verfolgt hat, kennt ja die ungefähren Zusammenhänge.
Ziemlich genau ein Jahr lang lebten wir im Nordpiemont, von Midsommer bis Midsommer. Wir haben Gemeinschaft erlebt und gelebt. Freundschaften vertieft und neue Freundschaften geschlossen. Auch manche wieder verloren. Aber waren es dann überhaupt wirkliche Freundschaften?
Vieles durften wir lernen. Über wahre Freundschaft, über wahre Fülle, über wahren Frieden. Dient man dem Frieden nur, wenn man seinem Gegenüber immer mit einem freundlichen Lächeln begegnet? Oder braucht es für den Friedensweg auch mal die Faust aufs Auge (in diesem Falle verbal gemeint)? Aber kann Gewalt zu wahrem Frieden führen? Eine Frage, welche wohl viele Menschen derzeit beschäftigt. „Es ist keine Liebe, wenn es weh tut.“, meinte Shanti, mein Visionssuchelehrer.
Viele Fragen bleiben offen. Vor allem: Wo ist unser Zuhause? Wo unser Platz?Als wir in Italien, in der Gemeinschaft am Berg, ankamen, spürten wir, dass wir bleiben möchten. Es fühlte sich richtig an. Eigentlich hatten wir Italien für uns abgeschrieben, denn bereits vor einigen Jahren haben wir dort gesucht und nicht gefunden. Doch dieses mal schien es uns sinnlos irgend woanders weiter zu suchen. Beinahe glaubten wir den Geburtsort für unser nächstes Kind gefunden zu haben. Wir holten alle Sachen die wir brauchten aus Deutschland und verkauften unser Wohnmobil. Denn wir wollten es wirklich!
Ehrlich zurück blickend war es vielleicht eher ein Lernort, denn ein Heimatort. Dennoch gaben wir dem Ort, den Menschen, der Gemeinschaft, uns selbst eine Chance. Hoffnung hielt uns dort, der Wunsch es möge einfach sein, trug uns auch durch die schweren Zeiten.
Und ja, es gab immer wieder diese Momente, da dachten wir, wir wären angekommen. Und dann gab es solche Momente, meist jene, in welchen wir in sozialen Konflikten verstrickt waren, wo wir alles packen und wieder weg wollten.
Doch eines erschwerte uns das „vollkommen drauf einlassen“ auch in den schönen Momenten; die Erinnerung an den Norden. Ja, es war nicht der Schwur, sondern die Erinnerung, welche uns immer und immer wieder zurück in den Norden rief. Wieso die Erinnerung, und nicht der Schwur? Ein Schwur ist verknüpft mit Ehre. Er ist ein machtvolles Versprechen jemandem oder etwas gegenüber. Unser Versprechen war weniger an das Land, als an uns selbst gerichtet. Sogesehen gab es niemanden außer uns selbst, welcher über uns richten würde, wenn wir unser Versprechen nicht eingehalten hätten, Und was für einen Sinn hätte es, über uns zu richten, weil wir anderswo glücklich wären? Der Schwur ist, in diesem Zusammenhang, etwas sehr rationales.
Doch die Erinnerung, die geht tiefer. Sie berührt die schönsten Erfahrungen unserer Seele, erweckt die Gefühle. Der Ruf des Nordens schwang wie ein stetiges Echo in uns und wir wussten manchmal nicht, was dies zu bedeuten hatte.
Während wir auf Terra Amica lebten, waren wir immer wieder auf der Suche nach einem Ort für unsere eigene kleine Hütte oder Jurte. Doch die Länder die uns am ehesten Ansprachen waren in anderen Besitzverhältnissen. Die Orte, die uns angeboten wurden fanden keine Resonanz in uns. Rational machte zwar das ein oder andere Sinn, aber es entstand kein Gefühl der Klarheit und Freude. Zudem fühlte sich das soziale Netz immer enger an, wie das einer Spinne, in welches wir eingewickelt wurden. Dabei schien es uns erst wie ein Netz, welches uns trägt und an welchem wir mitspinnen durften. Doch dieser Glaube entpuppte sich als ein Irrtum. Gar eine Lüge?
Als wir Terra Amica verlassen mussten waren wir zudem menschlich so enttäuscht, dass wir beinahe sofort die Gegend verlassen hätten, wissend, dass etwas Freudvolleres auf uns wartet. Doch die Trennung von den einen hat uns um so mehr verbunden mit den anderen und so gaben wir uns auf dem Berg eine zweite Chance. Vor allem mit einer anderen Familie und ihren drei Töchtern, sowie Helen und Shanti entstand so etwas wie ein neues Gemeinschaftsgefühl. Gemeinsames Gärtnern, Rituale, VisionQuestLeiterausbildung, Kochen, viel zusammen lachen, singen, trommeln und vieles mehr ließ uns erneut mit dem Gedanken anfreunden dort zu bleiben. Doch auch hier gab es wieder das Thema von Besitzverhältnissen, welches uns nicht wirklich ankommen ließen. Zudem befand sich die Gemeinschaft um uns herum in einer stetigen Chaosphase. Und dazu ständig die Erinnerungen an Schweden und Norwegen. Mit unserer befreundeten Familie träumten wir manchmal gemeinsam in den Norden zu gehen und dort eine Bullerbü-Gemeinschaft zu leben.
Während meiner diesjährigen Vision Quest, eingehüllt im Regen und im Nebel, umgeben von dürren Birken, kam ein Gefühl der Klarheit und Ruhe auf: Wir wagen die Reise in den Norden. Lou war einverstanden, denn sie sehnte sich beinahe mehr als ich in die Nordlandschaft zurück. So beschlossen wir einen Realitycheck zu machen. Erst das wird uns die Wahrheit zeigen: haben wir in Italien alles was wir brauchen, oder ist es der Norden? Gibt es im Norden etwas, was auf uns warten, oder sind es bloß Träumereien, basierend auf Gefühlen - von Erinnerungen genährt?Wir werden es sehen!Wir malten uns aus, dass wir für zwei bis drei Monate weg sein würden und danach in Klarheit uns entscheiden könnten. Doch noch bevor wir unsere Sachen packten veränderte sich einiges am Berg. Es wurde immer deutlicher, dass der Ort nicht mehr der Selbe sein wird, wenn wir zurück kehren. Wird er für uns offen bleiben, oder verschließt er sich mit unserer Entscheidung in den Norden zu gehen für immer? Auch stand nun für die andere Familie fest, dass sie in Italien bleiben werden. Zweifel keimten in mir. In dem ganzen Jahr, welches wir an dem Berg verbracht haben, war ich nie so richtig verliebt in das Land gewesen. Nicht so, wie in die Landschaft des Nordens.
Erst als die Abreise feststand kamen die Gefühle auf: Trauer, Freude, Wehmut. Ein letztes mal den Bach überqueren. Ein letztes mal die Sonne über der Felsmuräne aufgehen sehen. Eine Beziehung zum Land wurde aufgebaut. Und zu so manchen Menschen und Tieren. Wie wird die Gemeinschaft sich ohne uns entwickeln?
Trotz Zweifel und Unsicherheiten gingen wir die nötigen Schritte. Alles etwas holterdipolter und mal wieder so ne Hauruck-Aktion. Aber wenn wir den Sommer Skandinaviens nutzen wollten, mussten wir uns beeilen. So kauften wir ein Auto, räumten die Wohnung und fuhren nach Deutschland. Dort fand noch ein Wohnwagen zu uns.
Eine ganze Weile lang konnten wir es noch nicht so ganz fassen. Würden wir tatsächlich bald wieder im schönen Norden sein? Bei unserem letzten Versuch hat eine Panne nach der anderen uns davon abgehalten; werden wir es dieses mal tatsächlich schaffen? Wir würden es erst glauben, wenn wir wirklich oben wären. Doch auf der Autobahn von der Schweiz nach Deutschland ein Zeichen: Vor uns fuhr eine ganze Weile lang ein Auto, auf dessen Kennzeichen "NOR - D" stand. Dann noch eine Spur: An einer Raststätte zwischen Nürnberg und Leipzig gab es original rundes schwedisches Knärot zu kaufen. Also auf gen Norden!
Auch wenn unsere Abreise später war als gewünscht (der Sommer im Norden ist kurz), saßen wir Mitte Juli tatsächlich in der Fähre! Wir wussten noch nicht, was uns erwarten würde. Hatten so einen ungefähren Plan. Elouan erzählte im vergangenen Jahr immer Fantasiegeschichten von seiner letzten Norwegenreise. Es schien ihm das tollste Land der Welt, denn dort gab es alles was er gerne aß. So erzählte er immer wieder, wie er riesige Mangos und Avocados in Norwegen gepflückt hat. Ob er enttäuscht sein wird, wenn wir da sind?
Und wir? Wird es sich für uns so anfühlen, wie in unseren Erinnerungen?
Als wir mit der Fähre in Trelleborg ankamen, fühlten wir uns noch nicht wirklich Zuhause. Der Süden Schwedens ist kaum zu vergleichen mit den waldreichen Landschaften Mittel- und Nordschwedens. So fuhren wir den ersten Tag einfach weiter, weiter, weiter, bis wir im nördlichen Småland an einem See ankamen.

Ein von Kiefern umsäumter Sandstrand und weites Wasser, in welchem sich das Licht der langen Sommerglanztage spiegelt. Stille umgibt uns, Ruhe breitet sich in uns aus. In der Abenddämmerung ertönt der mystische Ruf des Prachttauchers. Das Land ruft uns zu: „Välkommen!“
Die Erinnerung verschmilzt mit der Gegenwart.
Es fühlt sich an wie ankommen.
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