Reisebericht Norwegen #1
- Maël
- 16. Aug. 2022
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 8. Jan. 2023
Norwegen, bei Rena, August 2022

Die Luft ist erfüllt von Stille. Der weite Wald erstreckt sich wie eine dunkle, weiche Decke über die hügelige Abendlandschaft. Kein Zeichen von Zivilisation. Nur dunkler Wald und ein silberner Schimmer dort, wo der See Ryssjøen sich eingebettet hat. Über ihm leuchtet der Halbmond zwischen den dicken, leicht lila schimmernden Wolken hervor. Der Osten zeigt uns die Nacht, welche den kommenden Tag erwartet. Der Westen will den heutigen Tag noch nicht gehen lassen und so ist dort der Horizont in helle, warme Farben getaucht. Die Sonnenuntergänge hier sind lang. Doch mittlerweile gibt es fast schon eine richtige Nacht. Das ist noch nicht lange so. Als wir Mitte Juni in Norwegen ankamen, wurde über uns geschmunzelt, denn wir packten unsere Kopftaschenlampen in unsere Wanderrucksäcke. Tatsächlich war die Nacht wie eine endlose Dämmerung. Die Sonne verschwand nur knapp unter dem Horizont und bemalte den Himmel stundenlang mit einem sich bewegenden Aquarell. An Mittsommer blieb es taghell. Die Gräser, Kräuter und Blumen danken dem vielen Licht indem sie weit hoch hinaus wachsen, um ihre Düfte und lila, rosa, gelben, blauen und strahlendweissen Farben gen Himmel zu schicken. Viel Regen hilft dem Land zu gedeihen. Grün und frisch leuchtet es im Sommerglanz. Was für ein Kontrast der Winter sein muss. Lange Winter gibt es hier. Dunkle Nächte. Aber die Winter, so wurde uns berichtet, sollen hier nicht von permanenter Finsternis geprägt sein. Dafür sind wir noch zu weit im Süden. An den dunkelsten Tagen scheine die Sonne immerhin vom Morgen bis in den Nachmittag herein. Über dem Horizont zeige sie sich jedoch bloss für ein schüchternes Lächeln. Dafür beleuchte der Mond, wenn er voll am Himmel steht, die weite weisse Winterlandschaft. In diesen Nächten soll es besonders magisch sein durch den Schnee zu wandern. Denn dieser glitzere und funkele und das Auge sehe so gut wie am Tag, nur das alles silbern erscheine. Und in den dunklen, klaren Neumondnächten, da zeige sich die Weite unserer Galaxie in ihrer sternenreichen Unendlichkeit. Aber von diesen Spektakeln sind wir noch weit entfernt. Es ist Anfang August, der Winter ist noch lange hin. So denken jedenfalls wir Mitteleuropäer. In den Köpfen der Nordmenschen raunt es jetzt schon: „Der Winter naht!“ So wird Gemüse eingelegt, Bäume für Feuerholz gefällt und klein gehackt, Gebäude winterfest gemacht, Fische gefangen und sich an der Fülle der Beeren erfreut. Diese werden nämlich in grossen Mengen gepflückt und getrocknet. Im Winter wird dann vor dem warmen Kamin ausgeruht, oder in der Sauna entspannt. Der Sommer hingegen ist die Jahreszeit der Aktion.
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Auch wir haben uns von dieser Einstellung anstecken lassen. Jetzt ist es warm und wir könnten sorglos den Sommer geniessen. Aber wie bald wird es kälter? Und haben wir bis dahin schon eine Winterhöhle für uns gefunden? Oder sind wir dann noch in unserem Campingwagen unterwegs? Diesen können wir bisher nicht beheizen, sodass wir in kälteren Zeiten zum einen uns nur dick eingemummelt im Bett aufhalten würden, zum anderen aber vor allem ein Schimmelproblem hätten. Glücklicherweise haben wir Jo, Pauliina und ihren Sohn Lillebjørn (kleiner Bär) kennen gelernt. Da Lillebjøern nur ein halbes Jahr älter als Elouan ist hat es sich schnell ergeben, dass wir viel Zeit miteinander verbringen. Tatsächlich stehen wir nun schon fast zwei Wochen mit unserem Wohnmobil bei ihrem Bauwagen und erleben eine gemeinschaftliche Familenzeit. Und was hat das jetzt mit unserer Wintervorbereitung zu tun? Nun, Jo ist Schmied und in einer kleinen Scheune hat er seine Schmiede. Und dort erwecken zur Zeit Jo und Maël das Herz unseres Wohnmobiles zum Leben: Frankenstein; Ein kleiner, rustikaler Holzofen, ohne Schnörkel, ohne besondere Extras, aber darauf ausgelegt seinen Zweck zu erfüllen: Unser kleines Heim aufzuheizen, um uns vor Kälte und vor Schimmel zu schützen. Als Ausgleich hilft Maël Jo seinen Beerentrockner rechtzeitig fertig zu bauen und eventuell noch eine Fuhre Holz zu machen. Doch wir sind nicht nur am schaffen. Der Alltag, in welchen wir gerade irgendwie hineingerutscht sind, ist eigentlich sehr entspannt. Einmal in der Woche gibt es Sauna. Das haben wir Pauliina zu verdanken, denn sie ist Finnin und in Finnland ist Sauna auch im Sommer ein wöchentliches Muss. Immer wieder werden wir von Nachbarn eingeladen. Tatsächlich sind wir sehr erstaunt über die warme Gastfreundschaft und Offenheit der Norweger. So plauderten wir beispielsweise eine halbe Ewigkeit mit dem alten Thor, sassen auf seiner Veranda und tranken Kaffee. Da gab es auch die Bäuerin Liv, mit ihrem Sohn Odin, die uns erst zum Abendessen einlud und uns zum Abschied noch drei Säcke voll feinstem Bio-Gemüse und Salat aus eigenem Anbau mitgab. Die Namen der nordischen Götter werden hier übrigens so selbstverständlich vergeben wie in Spanien die Namen Josef, Maria und Jesus. An den besonders heissen Tagen machen wir Badeausflüge an den See, oder streifen durch den Wald um uns genüsslich an der Fülle der Blaubeeren, Himbeeren und den gold glänzenden Moltebeeren zu laben. Vor allem zur Freude Elouans. Wenn wir mal eine Stunde unsere Ruhe brauchen stellen wir ihn einfach in ein Blaubeerfeld. Dann pflückt er sich seelenzufrieden eine Beere nach der anderen und steckt sie sich geniesserisch glucksend in den Mund.
Bis zum nächsten Mal!
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