Der Große Graben
- louël
- 2. Apr.
- 8 Min. Lesezeit
(Wenn du lieber hören, statt lesen möchstest, findest du die Audio-Version am Ende dieses Blog Posts)
Es war einmal, vor gar nicht all zu langer Zeit, da wurde irgendwo im Norden Italiens ein neues Königreich geboren. Idyllisch eingebettet in einen Kastanienwald, liess sich eine Königin mit ihrem König und ihren Kindern nieder. Sie beschlossen ein Reich des Friedens, der Liebe und der Heilung zu gründen. So erbauten sie ein Schloss, taten es den hohen Alpen gleich, welche über der weite Ebene thronten. Das Königreich wuchs und gedieh. Ein blumenreicher Garten entstand und das Schloss wurde grösser und schöner. Bald schon siedelten sich mehr Menschen an.
Darunter eine andere Familie. Sie hatten ihr Ursprungsland verlassen, da sie sich von einem Leben in diesem neuen Königreich mehr Freiheit, Fülle, sowie ein Gefühl der Verbundenheit der Menschen untereinander versprachen. Anfangs deutete alles auf die Erfüllung dieses Wunsches hin. Die Fülle des Königreiches schien gross, der Traum von einem Haus in der Natur und eigenen Pferden wurde erfüllt, die Menschengemeinschaft bemühte sich um einen ehrlichen und klaren, sowie liebevoll verbundenen Umgang miteinander. Doch nach einer ganzen Weile bekam das schön gemalte Bild die ersten Risse. Die Macht von dem Königspaar war gross. Zu gross für die neue Familie. Mehr und mehr fühlten sie sich unwohl in dieser herrschenden Hierarchie, welche sich nicht nur durch Adel, Titel und Besitz zeigten, sondern auch auf psychischer Ebene. Denn auch wenn das Königspaar sich darum bemühte ihr Wissen und ihre Macht zu nutzen, um andere zu heilen, war ihr eigener Kern nicht heil genug dafür. Eine dunkle Macht schien sich einzuschleichen, es war nicht mehr deutlich spürbar, ob die Hexenkraft der Königin lichtvolles oder dunkles bewirkte, ob sie aus dem inneren Licht, oder aus der versteckt gehaltenen Dunkelheit kam. Die Familie, und vor allem die Frau, litten mehr und mehr darunter.
Sie hätten sich beugen, und die eigene Wahrheit verabschieden können. Dann wären sie vielleicht heute noch dort und vielleicht wäre das Reich weiter gewachsen und gewachsen, im Guten sowie im Schlechten. Doch sie beugten sich nicht. Eines Tages, in einem Kreis, welcher der Heilung der Frau einberufen wurde, rief diese: „Mir reicht es! Ich will das nicht mehr!“
Sie erhob ihr Haupt, stand auf, blickte dem Königspaar auf einer Höhe in die Augen, drehte sich um und verliess den Kreis. Das Königspaar wurde wütend und es forderte Entschädigungsgeld. Zutiefst enttäuscht, beschloss die Familie nun ihr eigenes Reich zu gründen. Und so zogen sie auf die andere Seite des Berghanges. Sie begannen ein zweites Schloss zu bauen, und warben um andere Menschen, welche ein Reich des Familienlebens beleben wollten. So kam es, dass mehr Menschen, und vor allem viele viele Kinder auf den Berg zogen. So beheimatete der Berg also zwei Reiche, voneinander getrennt durch einen großen Graben, welchen ein Bach schon vor langer langer Zeit geformt hatte. Man konnte sich teilweise sehen, sogar reden hören, denn die zwei Seiten des Grabens waren nicht weit voneinander entfernt. In wenigen Minuten Fussweg wäre man auf der anderen Seite. Doch der Graben, den die Enttäuschung und der Streit gegraben hatte, der war riesig. Es gab zwar einen Annäherungsversuch, indem man einen Zugkarren miteinander teilte, doch dieser Versuch endete katastrophal. Es wurde über Geld und Besitz gestritten und so verblieben die Reiche in einer tiefen Trennung, welche sich für alle als die beste Lösung anfühlte. Der große Graben blieb bestehen, in der Landschaft und noch mehr in den Herzen der Menschen. Zwei Schlösser, zwei Reiche, viele Menschen mit ähnlichen Werten, dazwischen ein großer Graben.
Viele viele Jahre gingen ins Land, ohne das nennenswerte Begegnungen zwischen den zwei Reichen entstand. Dies sollte sich eines Jahres ändern, als beide Gemeinschaften gleichzeitig Zuwachs bekamen: auf der einen Seite ein Mädchen namens Ronja. Auf der anderen Seite ein Junge namens Birk. Es dauerte gar nicht lange, da begegneten sich die zwei Kinder. Jung und naiv wie sie waren, scherten sie sich nicht um Gräben und Streitereien der Alten, freundeten sich an und spielten miteinander. Doch das Königspaar sah diese Annäherung zuerst gar nicht gern. Es schollte das Kind, forderte es auf, sich auf das eigene Reich und die Menschen dort zu konzentrieren. Verwirrt versuchte das Kind eine Weile diesem „Wunsch“ nachzukommen. Da es aber noch sehr mit seinem ursprünglichen Wesen verbunden war, dauerte es gar nicht lange, bis es sich natürlicherweise wieder mit dem Kind auf der anderen Seite des Grabens traf. So kam es, dass Ronja und Birk den Graben vollkommen ausser acht liessen und von der einen Seite auf die andere Seite sprangen, wie es ihnen gerade gefiel. Das Kind des Königreichs spürte allerdings die schiefen Blicke und den Unwillen des Königspaares, und auch anderer Gefolgsleute. Es war hin- und hergerissen, zwischen der Harmonie im eigenen Heim, sowie des natürlichen Strebens seines Herzens. Was sollte es nur tun? Die Freundschaft aufgeben, oder sich dem Zorn in der eigenen Familie entgegensetzen? Eines Tages aber geschah das Unglaubliche: Das Königspaar beschloss, dass es Zeit sei, den alten Streit ruhen zu lassen und wieder in Begegnung zu gehen. Es dankte dem Kind sogar dafür, dass es eine Brücke zwischen den zwei Reichen war.
So gab es eine Zeremonie, hoch oben auf dem Berg, wo die Menschen beider Reiche zusammen kamen und gemeinsam mit lauten Trommeln ein neues Jahr des Friedens willkommen hiessen. Das Kind konnte es kaum glauben und freute sich riesig, nun unbeschwert auf die andere Seite des Grabens zu gehen und dort zu spielen. Birk und Ronja erlebten eine kurze Zeit der Unbeschwertheit, in der alles sich zum Besseren zu verändern schien.
Doch es dauerte gar nicht lange, da begann das Königspaar sich seiner Macht unsicher zu sein. Denn die Ignoranz des Grabens war nicht die einzige Andersartigkeit des Kindes. Mehr und mehr schien es an den bestehenden Fundamenten, und der Schönheit hinter den Fassaden zu Zweifeln. Dies erinnerte das Königspaar nur zu gut an die Frau, welche einst das Königreich aus ähnlichen Begründungen verliess. Darin Gefahr für die eigene Machtposition witternd, beschloss die Königin, dass das Kind das Reich verlassen musste. Dieses hatte zu diesem Zeitpunkt gerade starkes Fieber, draussen regnete und stürmte es. Doch das war Königin gleich. Sie verschloss ihr Herz und schmiss das Kind aus dem Reiche. So wuchs der große Graben erneut, Annäherungen begannen wieder zu wanken, und der Berg musste erneut Trennung und Unfrieden beheimaten. Doch ein Gutes hatte das ganze: Ronja und Birk konnten nun ungehindert miteinander spielen und durch die Wälder streifen. Und bald schon merkten sie, dass es so doch viel schöner sei. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann spielen sie noch heute.

„Der Große Graben“. Ein Titel den ich von einem Asterixband geklaut habe. Auch in diesem spaltet ein großer Graben, um genau zu sein aber ein Streit, eine Gemeinschaft in zwei. Die Zwei Gemeinschaften, von welchen ich in meiner Geschichte spreche sind die Gemeinschaften Terra Amica und TerraMiSu. Die reale Historie mag in einigen Details anders gewesen sein, ich habe keine Einblicke in die genauen Geschehnisse, kenne nur Erzählungen beider Passagen und gab meine eigene Interpretation hinein. Jedenfalls lebten wir selbst in Terra Amica seit Juli, bis wir im Februar von einem Tag auf den anderen rausgeschmissen wurden. Lou und Elouan hatten starkes Fieber, ich war gerade in der Genesung, draussen regnete es, wir hatten Termine… es fühlte sich sehr herzlos an und es war uns völlig unverständlich. Was alles dazu führte niederzuschreiben, erschien mir zu anstrengend und „auskotzend“, aber in dieser Märchenform ist es mir gelungen zumindestens die Geschichte des großen Grabens, welcher tatsächlich auch in der Landschaft existiert und unsere Erfahrung hier sehr prägte, wiederzugeben. Im Asterixband verlieben sich ein Mann von der einen Seite und eine Frau von der anderen Seite, welche den Graben daher ignorieren. Mit diesem Liebespaar konnte ich uns schlecht identifizieren. Daher wählte ich Ronja und Birk, aus Räuber Ronjatochter. Das passt zum einen besser zu der waldigen Landschaft hier, zum anderen gibt es tatsächlich zwei grosse Häuser, die wie Schlösser oder Burgen wirken. Eines vom „Königspaar“, eines von der „Familie“, welche das Königreich Terra Amica verliess und TerraMiSu gründete. Der treffendste Punkt für die Charakterwahl von Ronja und Birk, ist aber wohl dieser, dass es tatsächlich so wra, dass es nicht gern gesehen wurde, wenn wir zu den Nachbarn sind, damit Elouan mit den Kindern spielen kann. Immer wieder fühlten wir uns wie Ronja oder Birk, wenn wir zwischen den Grabenseiten beinahe „hin- und herhüpften“.
Nur, dass der Frieden zwischen den zwei Seiten zum derzeitigen Augenblick nicht so märchenhaft endete, wie im Roman. Jetzt sind wir selbst auf der anderen Seite des Grabens und blicken mit Wut zurück. Aber auch in grosser Erleichterung, ein (gefühltes) Irrenhaus verlassen zu haben. Diese Erfahrung hat uns nah heran gebracht an eines der grössten Probleme der Menschheit: das Ego.
Es hat uns gezeigt, dass es vermutlich nie gut ist, wenn Menschen materielle, sowie psychologische Macht über andere haben, selbst wenn die Absichten dahinter gut sein mögen, selbst wenn das Ziel die Heilung ist. Solange der Kern nicht heil ist, wird daraus keine heile Pflanze wachsen. Wir lernten, dass Wahrheit auszusprechen seine Konsequenten mit sich bringt. Seine Wahrheiten nicht, oder zu spät, auszusprechen ebenfalls. Auch durften wir erkennen, dass so manche schönen, gar traumhafte Worte und Versprechungen nur vergänglicher Glanz sind, wenn sie nicht über die Worte hinaus gehend wirklich gelebt werden.
Es hätte sicherlich nicht lange gedauert, dann wären wir selbst gegangen, doch der Rausschmiss hat unser schräges Gefühl nur mehr als bestätigt.
Es ist schon verrückt: Vor kurzem hat uns dieser Graben zwischen den Gemeinschaften immens genervt, hatten großes Unverständnis dafür. Jetzt sind wir froh um ihn. Eine weitere Urgeschichte der Menschheit, welche wir hier hautnah erleben: Trennung.
Ja, wir sind so einigen tiefen Themen, eigenen und kollektiven, sehr nahe gekommen. Wir haben viel gelernt, sind einige Schritte weiter gekommen, und doch stehen wir wieder an einem ähnlichen Punkt wie ein Jahr zuvor. Nun scheinen wir also auf der Lebenspirale mal wieder eine Runde gelaufen zu sein und es stellen sich uns wieder die altbekannten Fragen: wie geht es weiter? Wohin und wie? Wann endlich mal loslegen und nicht nur träumen? Oder gilt es vielleicht mal was anderes zu träumen? Dazu nicht einmal mehr ein Auto. Ist das jetzt gut, oder schlecht? Die Krise von vor einem Jahr klopft an. Es nervt ganz gewaltig!
Und auch wenn die Krise spürbar ist, sind wir gleichzeitig in größerem Vertrauen als zuvor, dass schon alles so seine Richtigkeit hat. Eines wissen wir glücklicherweise ganz sicher: Es wird besser! Was hatten wir denn eigentlich vor, bevor wir hier her gekommen sind? Nach Norwegen. Aha. Gehts also jetzt doch da lang? Na, wir lassen mal alles schön langsam angehen. Spüren statt Denken, um die Richtung zu finden.
Vorrübergehend hüten wir ein Haus, zwei Hunde und zwei Katzen in der Gemeinschaft TerraMiSu. Zur Zeit ist es unklar, inwiefern diese Gemeinschaft hier weiter existieren wird, da der Großteil gerade halb nach Deutschland zieht. Auch spüren wir selbst ambivalente Gefühle zum Bleiben. Wie auch immer es weiter gehen mag, für jetzt sind wir dankbar hier zu sein und von freundlichen Menschen umgeben zu sein, denen wir auf Augenhöhe begegnen können. Besonders mit einer Familie haben wir es richtig gut. Dazu haben wir Esel und Pferde als Nachbarn, Elouan spielt vergnügt mit den Kindern, und wir setzen aller Unklarheit zum Trotz Samen in die Erde und freuen uns darauf den Garten zu beleben.
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